Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
haben Sie nicht vielleicht auch eine dunkelhaarige Dame, Madam …?“, begann er unsicher.
„Vielleicht möchten Sie sich mit einer der Damen unterhalten, während ich nachfrage“, schlug die Empfangsdame vor und verschwand die Stufen hinauf.
Damit hatte Adam nicht gerechnet. Gab es demnach doch ein dunkelhaariges Mädchen in diesem Haus? Die Hoffnung keimte in ihm auf, Leah heute schon befreien zu können.
Aus dem ersten Stock drangen undeutlich die Stimme der Empfangsdame und eine aufgebrachte Männerstimme bis in das Foyer herunter, obwohl die Worte nicht zu verstehen waren. Das unbehagliche Gefühl in seinem Inneren steigerte sich zu deutlichem Misstrauen, das ihn wohl zur Vorsicht anhalten wollte. Noch nie zuvor hatte sich Adam in einer Situation befunden, die er so wenig einschätzen konnte wie diese. Und dieser Umstand behagte ihm gar nicht.
Die Kerzen an den mit funkelnden Kristallprismen geschmückten Leuchtern tauchten den Salon in ein weiches Licht und brachten die edle Walnussholzvertäfelung an den Wänden, die erlesenen blauen Samtvorhänge und das geschmackvolle Muster des mehrfarbigen Orientteppichs hervorragend zur Geltung.
Richard fühlte sich unbehaglich. Nach der exquisiten Mahlzeit hatte sich die Gesellschaft geteilt. Die Männer waren in den Rauchersalon gegangen und unterhielten sich bei einer guten Zigarre, deren Qualm in dicken weißen Schwaden der hohen Decke entgegenschwebte, über Immobilien – ein Thema, über das er wenig wusste und das ihn auch nicht sonderlich interessierte.
Die Frauen hatten sich in die Bibliothek zurückgezogen, wie es in den höheren Kreisen üblich war, und so konnte er sich nicht einmal mit Helena unterhalten.
Ein Diener bot ihm ein Glas Brandy auf einem silbernen Tablett an, und er nahm es, nur damit seine Hände mit irgendetwas beschäftigt waren. „Danke“, murmelte er und wandte sich den großen, durch Sprossen unterteilten Fenstern zu. Allerdings blieb es ihm verwehrt, hinaus in den Garten zu sehen, da im Rauchersalon Licht brannte. Er sah nur sein eigenes Spiegelbild, und das wirkte im Moment nicht sehr glücklich.
„Mr Martin.“ Eine sonore Stimme riss ihn aus seinen Betrachtungen.
Richard drehte sich um. Ein Herr, der ihm bereits vorgestellt worden war, an dessen Namen er sich aber nicht erinnern konnte, winkte ihn herbei. „Uns würde interessieren, wie sich diese Thematik in Deutschland darstellt.“
Richard seufzte leise. Er hatte von dem gewählten Thema zu wenig Ahnung, um sich darüber angemessen unterhalten zu können. Dennoch setzte er ein Lächeln auf und ging zu der Gruppe hinüber. Dabei fragte er sich, ob er würde verbergen können, dass er den Namen dieses Herrn nicht behalten hatte.
Er gab, von sich selbst erstaunt, relativ gelassen zu, wie gering sein Wissen über den Immobilienmarkt im Deutschen Reich war. Die fünf Männer musterten ihn einen Moment, und in das peinliche Schweigen hinein bemerkte Richard unbeholfen: „Es ist mir leider unmöglich, alle Märkte im Blick zu behalten, meine Herren. Deshalb konzentriere ich mich auf das Wichtigste.“
Ein höfliches Nicken war die Antwort und Richard fühlte sich noch elender. Sein Nacken schmerzte vom betont steifen Aufrechtstehen, und das Gefühl, in dieser Runde völlig fehl am Platz zu sein, verstärkte sich von Minute zu Minute.
Und was hatte Adam gesagt, als er ihm seine Begleitung bei seinem Besuch im Queen’s Square angeboten hatte? Dass er das nicht tun müsse, schließlich sei das Ganze nicht seine Angelegenheit … Im Nachhinein schmerzten ihn diese Worte plötzlich empfindlich, bekräftigten sie doch auf deutliche Weise, dass er nicht zu diesem Kreis gehörte. Paradox daran war nur, dass er darauf bisher keinen Wert gelegt hatte!
Richard seufzte. Wie man es auch drehte und wendete: Er war hier fremd; er gehörte eigentlich in den Schwarzwald. Schließlich hatte er dort ein Heim und eine Arbeit. Mehr aber auch nicht, schoss es ihm plötzlich durch den ohnehin schmerzenden Kopf.
Was tat er hier eigentlich? Richard blickte wieder zu den Sprossenfenstern hinüber und betrachtete aus der Entfernung sein verschwommenes, durch die Rahmenverstrebungen zerteiltes Spiegelbild. Hatte er nicht genau das versucht? Sich und sein Leben in mehrere unabhängig voneinander agierende Teile aufzuspalten? Auf der einen Seite war er ein Mann, der seine Arbeit und die Routine liebte, auf der anderen Seite einer, der mit viel Energie und Aufwand seinem Ziel nachjagte, Reichtum
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