Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
fröhlich anstrahlte.
„Ich werde erst wieder ruhig schlafen können, wenn ich dich sicher auf diesem Schiff weiß“, verkündete Chloe mit ihrer vollen, lauten Stimme.
Norah nickte halbherzig. Erneut kam ihr der Gedanke, dass der männliche Erste-Klasse-Passagier auf der Olympic , der sich als Ryan vorgestellt hatte und Violet Jessop gebeten hatte, sie zu einem Treffen mit ihm auf Deck zu schicken, am Ende dieser große, breitschultrige Mann vom Queen’s Square gewesen sein könnte. Womöglich verfügte er sehr wohl über die finanziellen Möglichkeiten, um sich eine Schiffspassage auf der RMS Titanic leisten zu können …
Norah und Richard wurden von einer gewaltigen Wolke grauen Dampfes, den die schwarze Lok mit einem scharfen Zischlaut ausstieß, beinahe vollständig eingehüllt. Norah in ihrem eng geschnittenen dunkelblauen Reisekleid kicherte belustigt, was Richard veranlasste, sie noch enger an sich zu ziehen.
„Pass gut auf dich auf“, raunte er ihr auf Deutsch zu und spürte die Angst um sie wie einen beißenden Schmerz in seinem Herzen.
„Keine Angst, Richard. Bis das Schiff ausläuft, bin ich wie immer bei Großmutter Lora untergebracht, und an ihr kommt so schnell niemand vorbei“, antwortete sie ihm ebenfalls in seiner Muttersprache.
„Sie ist nicht Dylan“, murmelte Richard und drückte seine Wange in ihr weiches schwarzes Haar. „Ich bin noch immer der Meinung, wir hätten die Polizei auf diesen Ryan ansetzen sollen.“
„Wegen zweier Mädchen aus den schmutzigen Gassen?“
„Du bist doch diejenige, die mir beigebracht hat, dass sie ebenso …“
Norah legte ihre Fingerspitzen auf Richards Mund. Allein diese Geste jagte Hitzewellen durch seinen Körper und ließ in ihm den Wunsch wachsen, sie nie wieder loszulassen.
„Du kannst dich, wenn du das möchtest, noch viele Jahre lang für die Rechte der Menschen im Hafenviertel einsetzen, Richard.“
Wie sehr liebte er es, wenn sie seinen Namen mit ihrem gälischen Akzent aussprach! Schnell griff er nach ihrer Hand, bevor sie sie fortziehen konnte, und drückte sie gegen seine Brust, in der sein Herz heftig hämmerte. „Darüber, wo wir beide leben werden, konnten wir in der ganzen Aufregung noch gar nicht sprechen, Norah.“
„Ich kann gern noch einen oder zwei Tage hierbleiben“, sagte sie.
Fasziniert betrachtete er diese unglaublichen Grübchen in ihren Wangen, die die Form kleiner Sterne hatten. Unterdessen verzog sich die Dampfwolke und gab den Blick in die kleine Halle, aber auch auf das eng umschlungene Paar frei.
„Das wirst du nicht tun, Norah!“, unterbrach Adam ihre Unterhaltung. Norahs Bruder hatte sich ihnen bis auf zwei Schritte genähert und gab eindrucksvoll zu verstehen, wie gut er ihrer auf Deutsch geführten Unterhaltung hatte folgen können.
Adams Blick veranlasste Richard, seinen Arm, den er um Norahs Hüfte gelegt hatte, zurückzuziehen. Allerdings behielt er ihre Hand in der seinen.
„Ich werde ein Auge auf ihn haben“, erklärte Adam, nun wieder auf Englisch, und fügte hinzu: „Außerdem kommt er doch ohnehin in ein paar Tagen nach.“ Mit einer knappen Kopfbewegung deutete er Norah an, dass es für sie an der Zeit war, in das Zugabteil zu steigen.
Sie entzog Richard ihre Hand und trat an die Metallstufen, während Dylan ihren schweren Koffer hinaufwuchtete. In dem Augenblick, als die Lokomotive einen lauten, schrillen Pfiff ausstieß, wirbelte die junge Frau herum. Mit wenigen großen Schritten war sie bei Richard und fiel ihm so stürmisch um den Hals, dass er, mit ihr im Arm, ein paar Schritte rückwärtstaumelte. Er atmete ihren Duft ein und spürte die angenehme Wärme ihres Körpers, der sich gegen den seinen presste. Fast verzweifelt verstärkte er den Druck seiner Arme, und doch meinte er, sie nicht nah genug bei sich zu haben.
„Ich liebe di-“, brachte sie noch hervor, ehe er ihren Mund mit einem Kuss verschloss.
„Rick! Rick! Richard!“, drang Adams lauter werdende Stimme zu ihm durch. Langsam und unwillig hob er den Kopf. Alle Türen des Zuges, bis auf die erste, vor der ein breit grinsender Dylan stand, waren inzwischen geschlossen, und wieder quoll eine gewaltige Dampfwolke unter der Lokomotive hervor.
Norah löste sich aus Richards Umarmung, drückte Adam einen Kuss auf die Wange, stürmte zu Dylan, umarmte auch ihn und sprang dann endlich in das Abteil. Dylan schlug die Tür kräftig hinter ihr zu, und schon setzte sich der Zug in Bewegung.
Richard sah Norah winken, als
Weitere Kostenlose Bücher