Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Andrews. Die Titanic liegt bereits in Southampton und wird dort auf ihre erste Fahrt vorbereitet. Also müssen auch die Klaviere und Flügel an Bord. Für das letzte Klavier fehlen noch Ersatzteile, die aus Zeitgründen direkt nach Southampton geliefert werden. Eventuell werde ich die Arbeiten an diesem Instrument fortsetzen müssen, nachdem es schon an Bord gebracht wurde.“
„Dann heißt es also Abschied nehmen“, stellte sie erstaunlich nüchtern fest und streckte ihm erneut ihre Hand entgegen.
Richard verabschiedete sich von der jungen Dame und verließ gemeinsam mit Adam das Haus.
Nachdem sie die Treppe zum Vorplatz hinunter verlassen hatten, schloss er für einen Moment die Augen. Erleichterung machte sich in ihm breit. Er hatte sich von Helena verabschiedet, und somit war für ihn dieses eher unrühmliche Kapitel seines Lebens endgültig abgeschlossen, und dies, ohne dass jemand Schaden genommen hatte.
Helena warf wütend die Tür hinter sich ins Schloss. Mit vor Anspannung und Zorn geballten Fäusten stand sie da und starrte ihr Spiegelbild an, das ihr zornig entgegenblickte.
Sie brauchte ein paar Augenblicke, ehe sie sich langsam entspannte. Dann griff sie nach dem Klingelzug und läutete ihre Zofe herbei. Offenbar war diese nicht darauf gefasst gewesen, so schnell wieder gebraucht zu werden, denn bis sie an die Tür klopfte und eintrat, vergingen mehrere Minuten.
„Miss?“ Ihre Stimme klang erstaunt, und die Augen der älteren Frau blickten verwundert unter dem zerzausten grauen Pony hervor.
„Hilf mir wieder aus dem Kleid“, wies Helena sie ruppig an und drehte sich um, damit die Frau ihr die Knöpfe im Rücken öffnen konnte.
„War der junge Herr beschäftigt?“, fragte Emily arglos, während sie sich an Helenas Rücken mit den Knöpfen und Häkchen ihres Kleides beschäftigte. „Ich hörte, er reist morgen ab.“
Wieder kochte in Helena die Wut auf. „Ja, und ich habe …“ Sie unterbrach sich selbst und trat ruhelos von einem Bein auf das andere. „Warum brauchst du denn so lange?“
„Ich finde es sehr nett, wie Sie diesem verletzten Mädchen geholfen haben, Miss Helena. Eine Pflegerin für sie abzustellen und nun auch noch den Umzug in ihr neues Zuhause zu arrangieren …“
Helena hörte nicht länger hin, sondern schaute ärgerlich zum Fenster hinaus. Emily klang ja gerade so, als habe sie zum ersten Mal etwas Lobenswertes getan. Selbstverständlich hatte sie das Mädchen hier pflegen lassen, denn somit behielt sie Richard zumindest ein wenig in ihrer Nähe. Außerdem galt ihr Interesse dem Schutz seines guten Rufs. Hätte er diese Susan in ein öffentliches Krankenhaus gebracht und dort die Kosten der Behandlung übernommen, hätten Gerüchte über eine Beziehung des Pirrie-Gastes zu diesem mittellosen Mädchen schneller Kreise gezogen, als ein Stein die Wasseroberfläche eines Sees durchbrach. Die Bediensteten des Geldadels, die sich vermutlich in den gleichen Abteilungen des Krankenhauses behandeln ließen, tratschten untereinander schlimmer als die Marktweiber. Aus diesem Grund wusste Emily wohl auch bereits von Richards morgiger Abreise nach Southampton.
Helena unterdrückte mühsam einen wütenden Aufschrei. Endlich hatte diese Stewardess Belfast verlassen – und nun zwangen die Geschäfte Richard ebenfalls nach Southampton zu reisen!
Ihr Kleid rutschte über ihre Schultern und glitt raschelnd an ihrem Körper entlang zu Boden. Sie drehte den Kopf und betrachtete sich im Spiegel, nur um ein weiteres Mal festzustellen, dass sie zweifelsohne eine Schönheit war. Zudem besaß sie Geld und gehörte einer angesehenen Familie an, und sie war bereit, sich sozial zu engagieren, sollte dies Richard am Herzen liegen. Mit einem Teil ihres Geldes könnten sie ein Waisenheim oder eine Suppenküche in den Hafengassen ins Leben rufen. Was konnte diese Norah Casey Richard dagegen bieten?
Aufgebracht stieg sie aus dem wertvollen Kleid und wartete, bis Emily es aufgehoben und sorgfältig auf einen Bügel gehängt hatte, ehe sie die Zofe anwies: „Wir packen, Emily. Heute noch reisen wir nach London, um meine neue Sommergarderobe abzuholen. Von dort aus fahren wir nach Southampton.“
„Southampton, Miss Helena?“ Emily warf ihr einen überraschten Blick zu, und wie so oft hielt die ältere Dame, die ihre Eltern ihr aufgezwungen hatten, mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg: „Lassen Sie es gut sein, Miss Helena. Dieser Mr Martin ist doch auch nur einer von den Männern, mit
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