Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
an. Er hob das kleine Mädchen hoch und schob die beiden Holzkisten mit dem Fuß von der Mitte der Straßenkreuzung auf die Seite. Katie war viel zu leicht für ihre fünf Jahre, fand Richard und drückte die Kleine an sich, da sie sich ausgekühlt anfühlte.
Ella, die das Baby im Arm hielt, lächelte ihm dankbar zu und folgte Adam. Hintereinander marschierten sie durch die jetzt stille, menschenleere Gasse. Nur ihre Schritte hallten zwischen den Häusern wider. Hoch oben am Himmel stand eine schmale Mondsichel und spendete kaum Licht, doch es reichte aus, dass Richard das sommersprossige Gesicht des kleinen Mädchens in seinen Armen betrachten konnte. Er lächelte auf Katie hinab.
Zu Beginn seines Abschiedsfestes hatte Katie ihn tatsächlich zum Tanzen überredet. Wie ein Wirbelwind war sie mit ihm durch die Reihen der anderen Paare hindurchgeflitzt, und erst, als man ihm Edwards Akkordeon gereicht hatte, konnte er sie überzeugen, dass er genug getanzt hatte.
Katie war Norah sehr ähnlich. Fröhlich, selbstbewusst, voller Zuneigung und Aufmerksamkeit allen Leuten gegenüber und mit einer überwältigenden Energie und Ausstrahlung ausgestattet.
Hintereinander bogen sie in eine etwas breitere Gasse ein, und dabei warf Richard einen fast wehmütigen Blick zurück. Täuschte er sich, oder war da ein großer dunkler Schatten gewesen? Folgte ihnen jemand, der möglichst unentdeckt bleiben wollte?
In seinem Nacken breitete sich ein unangenehmes Kribbeln aus. Wiederholt sah er sich vorsichtig um, doch er konnte keine Bewegung, keine dunkle Gestalt oder auch nur einen ungewöhnlichen Schatten mehr sehen. Allerdings war es in den engen, dunklen Gassen, in die der Mond kaum sein fahles Licht hineinschicken konnte, nahezu unmöglich, Einzelheiten auszumachen.
Nach einem längeren Fußmarsch erreichten sie schließlich Ellas Haus. Das Baby erwachte und weinte laut, als es auf Ellas Bett gelegt wurde, woraufhin Adam und Richard noch blieben und der Mutter halfen, die drei übermüdeten Kinder zu versorgen. Richard trug unbeholfen Evan durch das Zimmer, damit er still war. Adam zog Sean bis auf die Unterwäsche aus und steckte ihn dann in sein Bett, während Ella Katie versorgte.
Als die beiden Freunde sich endlich auf den Weg zu den Pirries machten, sah sich Richard fast zwanghaft nach allen Seiten um. Kleine, baufällige Anbauten, hohe Bretterzäune, schief in den Angeln hängende Türen und Läden warfen unwirkliche Schatten auf den fleckigen Gassenboden. Sie machten es ihm schwer, Gegenstände und Personen voneinander zu unterscheiden. Wie sollte er so feststellen, ob ihnen jemand folgte?
„Adam?“
„Ja?“
„Vorhin hatte ich den Eindruck, dass uns ein Mann folgt.“
„Ich habe ihn auch bemerkt“, bestätigte Adam einfach und bog in eine bereits breitere, bessere Straße ein, in der zumindest ein paar der Straßenlaternen auch brannten und ihr orangefarbenes Licht auf die nahen Häuserfronten und das Pflaster warfen.
„Seit wann?“
„Seit wir Dylan abgeholt haben.“
„Ist das dieser Ryan?“
„Ich nehme es an.“
„Was machen wir jetzt?“
„Nichts. Solange er hinter dir oder mir her ist, lässt er Norah in Ruhe. Vermutlich weiß er nicht, wo sie ist, und hofft, durch uns an sie heranzukommen.“
„Gut“, murmelte Richard erleichtert, obwohl er sich bei dem Gedanken, dass er seit Stunden beobachtet wurde, nicht gerade wohlfühlte.
Kapitel 26
Lastwagen, Pferdegespanne und Handkarren ratterten über den White Star -Pier in Southampton, umrundeten dort abgestellte Transportkisten, fest installierte Hebekräne und Unmengen von hin und her eilenden Arbeitern. Laute, teilweise herrisch gebrüllte Anweisungen hallten durch die Luft. Direkt über Richard hievte ein Kran gerade eine Transportkiste an Deck der Titanic, auf deren Unterseite deutlich Steinway & Sons zu lesen war.
In Kisten verpackte feine Gläser und Kristallgeschirre, viele tausende Teile des wertvollen Porzellans für die großen Speisesäle und das Restaurant der ersten Klasse sowie silberne Servierwagen und Metallkassetten, in denen das Tafelsilber für die Passagiere der ersten und zweiten Klasse transportiert wurde, fanden ihren Weg nach oben. Und das, obwohl auch schon in Belfast ein großer Teil an Geschirr und Küchenutensilien an Bord gebracht worden war!
Norah, die Richard fest an der Hand hielt, zog ihn zwischen mit Mulis bespannten Wagen hindurch, in denen fast 400 Pflanzen, darunter meterhohe Palmen in
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