Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
denen Sie Ihre Eltern reizen wollen.“
„Das geht dich überhaupt nichts an.“
„Ich mache mir Sorgen um Sie, Miss Helena. Seit dieser Angelegenheit damals laufen Sie einem mittellosen Mann nach dem anderen hinterher. Einmal war es sogar ein Mann von beinahe sechzig Jahren. Und das nur, um Ihren Eltern heimzuzahlen, dass sie Ihre Heirat mit diesem windigen Burschen verhindert haben. Und dabei waren Ihre Eltern doch im Recht, Miss Helena. Sie wissen selbst: Der Bursche sitzt inzwischen im Gefängnis. Ihre Eltern wollten Sie nur vor einem Fehler schützen.“
Helena baute sich drohend vor Emily auf, die erschrocken einen kleinen Schritt zurückwich. „Wem ich meine Aufmerksamkeit schenke, geht dich nichts an!“
„Sie werfen Ihr Leben weg, Miss Helena. Und das nur aus Rache an Ihren armen Eltern. Sie hatten durchaus ernst zu nehmende Verehrer, doch durch Ihre fragwürdigen Männergeschichten ziehen sie sich alle zurück“, redete Emily ihr ein weiteres Mal ins Gewissen.
Die junge Dame lachte hämisch auf und drehte sich von der Zofe weg, damit diese ihr wütendes, hartes Gesicht nicht sehen konnte. Sie hatte Paul geliebt. Vermutlich wäre er nicht im Gefängnis gelandet, wenn ihre Eltern nicht gegen ihn intrigiert hätten. Seither hatte sie gelernt – immer scharf an der dünnen Grenze der Akzeptanz in ihren Kreisen entlang –, zu tun, was sie wollte, und sich zu nehmen, was sie wollte. Und im Moment war das Richard Martin.
Kapitel 25
Richard wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes den Schweiß aus dem Gesicht und zwinkerte Katie zu, die den ganzen Abend nicht von seiner Seite gewichen war. Jetzt saß sie auf der Holzkiste inmitten der Straße und schien kurz vor dem Einschlafen zu sein, dem Trubel um sie her zum Trotz. Sie lächelte ihn müde an, ehe ihre Mundwinkel wie von selbst wieder nach unten wanderten und ihr endlich die Augen zufielen.
Richard schob das geliehene Instrument zusammen und ignorierte mit einem schiefen Grinsen die aufkeimenden Protestrufe. Daniel, der einige Meter von ihm entfernt auf der zweiten Kiste stand, hob seinen Bogen und stimmte ein leises, ruhiges Lied an.
Der Akkordeonspieler hob verwundert den Kopf. Eigentlich hatte er von den leidenschaftlichen Tänzern weiteren Protest erwartet, doch die Menge trieb auseinander, und diejenigen von Norahs Freunden, die er in den vergangenen Tagen näher kennengelernt hatte, schüttelten ihm zum Abschied die Hand.
„Hey, wir sehen uns in Southampton“, ertönte Dylans Fistelstimme neben ihm.
Dylan hatte versucht, eine Heuer als Heizer auf der Titanic zu bekommen, war jedoch an der Vielzahl Arbeit suchender Heizer gescheitert. Nichtsdestotrotz wollte er mit Adam, der als Matrose angeheuert hatte, nach Southampton reisen. Seiner Erfahrung nach erschienen nie alle Heizer tatsächlich bei der Abfahrt, und oft wurde schnell Ersatz gebraucht.
Dylan legte seinen Arm um Eve, die sich freundlich von Richard verabschiedete.
Dieser sah ihnen nach, wie sie eng umschlungen davonschlenderten und schließlich in einer Gasse verschwanden. Wie gern hätte er jetzt Norah an seiner Seite gehabt!
„Rick?“
Richard wandte sich Chloe und Danny Fitzpatrick zu. Der Reporter war den ganzen Abend über nicht von Chloes Seite gewichen. Mit seinem leichten amerikanischen Akzent verabschiedete er sich nun sehr herzlich von Richard und trat anschließend beiseite, um Chloe Platz zu machen.
„Grüß mir mein Sternchen, Rick“, bat sie ihn.
„Gern“, erwiderte er und ließ zu, dass sie ihn kurz umarmte.
Sie sagte nichts davon, dass sie hoffte, ihn eines Tages wiederzusehen. Die Menschen hier wussten, wie schnell Unvorhergesehenes ihre Pläne durchkreuzen konnte. Für sie galt es, einen Tag nach dem anderen zu leben und zu überleben. Aber viele von ihnen – wie Chloe – hielten sich an den Verheißungen der Bibel fest und fanden darin Trost und Kraft, wie auch ihren unbändigen Lebenswillen und ihre beinahe greifbare Lebensfreude, die so gar nicht zu ihrer äußerlichen Lebenssituation passen mochte.
Catherine, Mia und Ben verabschiedeten sich, während Daniel noch schnell das erneut ausgeliehene Akkordeon zu seinem Besitzer Edward brachte. Anschließend verabschiedete auch er sich von Richard und verschwand mit den drei anderen in dem Labyrinth aus dunklen Gassen.
Adam trat zu ihm. Er hatte sich den schlafenden Sean über die Schulter gelegt. „Ich bringe Ella und die Kinder nach Hause.“
„Ich nehme Katie“, bot Richard ohne zu zögern
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