Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
jeden Dur-Akkord mit ihrer Aggressivität zu durchdringen. Die Tür des Salons war geschlossen, aber er konnte Peders und Louises hitzige Stimmen hören. Im großen Speisesaal saßen Jan und Kjell und redigierten die Aufnahmen hinter ebenfalls geschlossenen Türen.
Raoul holte tief Luft und versuchte nachzudenken, war aber viel zu erschöpft. Die Besorgnis über die sich immer weiter verschärfende Entwicklung in diesen Tagen auf Svalskär ließ sich nicht mehr verdrängen. Was ihm eben noch wie eine selbstverständliche Entwicklung vorgekommen war, hatte sich in einen festen Knoten aus Intrigen, Loyalitäten und Gewissensqualen verwandelt. Wie er es zudem noch geschafft hatte, Anna Hoffnungen zu machen, war ihm schleierhaft. Alle schienen ihm vorzuwerfen, dass er sie verletzte. Auf ihn wirkte Anna jedoch, als habe sie einfach ihren Spaß. Sie war immer ein ausgelassener Mensch gewesen, und er hatte mit ihr lachen können wie mit sonst keiner Frau. Natürlich flirtete sie gerne, aber das tat er schließlich auch. Und das hatten sie gemeinsam. Die frische Lebenslust, die sie ausstrahlte, hatte ihm immer gute Laune bereitet und hatte einen Kontrast zu Louises Trockenheit gebildet. Sobald er an Louise dachte, lähmten ihn seine Schuldgefühle. Er versuchte sich einzureden, dass er keine Wahl gehabt und daher auch nichts falsch gemacht hatte. Aber diese Selbsttäuschung ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Er hatte sie verletzt und ihre Freundschaft aufs Übelste missbraucht. Er trug die Verantwortung, und deswegen musste er das einzig Ehrenhafte tun und sich mit ihr aussprechen. Vielleicht hatte er ja für immer ihre Freundschaft verloren. Unabhängig davon, wie sich die Zukunft gestalten würde.
Jetzt begann Caroline mit dem Präludium der fünften Bach-Suite. Kalte Schauer liefen Raoul den Rücken herunter. So war es ihm schon immer ergangen, wenn er diesen Satz hörte, und heute ergriff ihn diese Musik mehr denn je. Es war die düsterste der Suiten und gleichzeitig bei aller Dunkelheit die schönste.
Das Geräusch von Schritten und von einer Tür, die geöffnet wurde, weckte ihn aus seiner Starre. Rasch zog er sein Jackett an und verließ dann so leise wie möglich das Haus. Die Kälte überraschte ihn, und er zog sein Jackett dichter um sich, statt es zuzuknöpfen. Er bereute bereits, sich nicht seinen Mantel angezogen zu haben. Mit verschränkten Armen kämpfte er gegen den Wind an. Unten am Wasser schlugen die Wellen gegen die Felsen, und Gischt spritzte über sie hinweg.
Die kühle Luft erfrischte seine Sinne und vertrieb das erstickende Gefühl des Eingesperrtseins. Der Sauerstoff gab seinen Gedanken Auftrieb. Mit jedem raschen Schritt wuchs seine Zuversicht, und seine Besorgnis schwand. Nach einer Weile ließ seine Unruhe nach. Die Lösung lag auf der Hand. Er sah sie deutlich vor sich und wunderte sich darüber, dass er sie je hatte anzweifeln können.
Als er ins Atelier kam, kehrte er die Asche aus dem Ofen und machte ein neues Feuer. Das Atelier war vom Vorabend noch recht warm. In einer Ecke lag Carolines Wolljacke. Er hielt sie vor sein Gesicht. Er atmete ihren Geruch ein und wurde von einer großen Wehmut erfüllt. Mit der Jacke als Kopfkissen legte er sich aufs Bett und schloss die Augen. Die Müdigkeit überkam ihn, und er schlief ein. Er genoss es, immer tiefer in eine behagliche Stille zu versinken und endlich Ruhe von allen umstürzenden Ereignissen der letzten Zeit zu haben. Er hatte keine Träume, es gab nur eine angenehme und kühle Dunkelheit hinter seinen geschlossenen Lidern.
Obwohl er nur recht kurz eingeschlummert gewesen war, fühlte er sich seltsam ausgeruht, als er die Augen wieder aufschlug. Er setzte sich im Bett auf. Das Laken war zerknüllt. Er schaute nach unten, und sofort überkam ihn eine leichte Übelkeit. Zwei längliche dunkelrote Flecken waren auf dem weißen Stoff zu sehen. Er konnte es nicht lassen, mit den Fingerspitzen über die verkrustete Oberfläche zu fahren. Altes Blut.
Er war durstig und begann, in der Kochecke nach etwas Trinkbarem zu suchen. Aber es gab nicht einmal Wasser. Draußen hatte die Dunkelheit die Insel eingeschlossen. Durch das kleine Fenster erblickte er die Fensterfront des Studios. Dort brannte noch Licht. Um besser sehen zu können, öffnete er die Tür und stellte sich auf die Schwelle. Er konnte aber trotzdem nicht erkennen, ob Caroline immer noch spielte. Er versuchte, Töne zu hören, meinte gelegentlich Klänge wahrzunehmen, wusste
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