Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
vor, rauszugehen und die Sterne anzusehen. Ich meine, offensichtlicher geht’s kaum. Natürlich ahnte ich, dass er etwas im Schilde führte, aber da ich ziemlich sauer auf Louise war, dachte ich, egal, Sternegucken macht sicher Spaß. Ich folgte ihm also, und wir begaben uns auf die nördliche Landzunge, wo wir uns vor das Atelier stellten. Es war wirklich wunderschön. Die Sterne bedeckten den ganzen Himmel, und keine anderen Lichter waren auf dem Meer zu sehen. Es war recht kalt, ich fror etwas, und er bot mir sein Jackett an. Ein richtiger Gentleman der alten Schule. Dann nahm er mich in die Arme, sah mir tief in die Augen und bat, mich küssen zu dürfen. Man hält es für unmöglich, dass es so etwas noch gibt! Und ich verliebte mich vollkommen besinnungslos in Raoul.«
Sie verstummte, das Lächeln verschwand von ihren Lippen, und ihre Augen wurden feucht. Das ist es ja gerade, dachte Ebba, so jemanden wie Raoul gibt es nicht mehr. Caroline zog einen Labello aus der Tasche, fuhr sich über die Lippen und sammelte Kraft, um fortzufahren. »Ich weiß, dass das unglaublich bescheuert klingt. Wie kann man in so kurzer Zeit wissen, dass man jemanden liebt, aber ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben richtig verliebt. Ich liebte Raoul, und ich liebe ihn immer noch. Mein ganzer Körper und meine Seele sehnen sich nach ihm. In meinem Herzen herrscht eine große Leere. Ich kann mir ein Leben ohne Raoul nicht vorstellen, ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll.«
Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen, und sie strich sie sich mit den Fingerspitzen weg.
»Es gibt vieles in meinem Leben, über das ich mir unsicher bin, aber das hier … das hier war Liebe, bis dass der Tod uns scheidet … ja, so kam es dann ja auch.«
Sie lachte bitter auf, aber ihre Lippen begannen bald wieder zu zittern. Mit Mühe zwang sie sich dazu, weiterzuerzählen. »W enn man sich so verliebt, dann weiß man es einfach, man kann nichts dagegen unternehmen, man kann dagegen mit Vernunft nicht ankämpfen. Es hat einen in seiner Gewalt, und man kann sich nur mitreißen lassen.«
Ebba nickte. Sie merkte, wie ihre eigene innere Leere zunahm. So überwältigt zu werden, das hatte sie noch nie erlebt. Und hier saß diese junge Frau und sprach über die Liebe ihres Lebens wie über die selbstverständlichste Sache der Welt. Wie sehr sie sich doch wünschte, dass ihr das auch einmal passieren würde. Zumindest einmal im Leben.
»Und Sie waren sich sicher, dass die Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten?«
Caroline sah aus, als traue sie ihren Ohren nicht. »Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht. Er wollte, dass ich nach New York ziehe, damit wir dort eine Familie gründen können. Wie soll ich Ihnen das nur erklären?« Sie suchte nach Worten. »Ich musste Louise verlassen, und er wollte sich scheiden lassen. Raoul war der Mann meines Lebens. Und ich war die Frau seines Lebens. Ich sollte sein Kind zur Welt bringen.«
»Kind? Das ging rasch!«
»Das war Leidenschaft!« Sie brüllte förmlich. »Leidenschaft soll Kinder hervorbringen. Nicht eine … eine … «
Ihre Kraft verließ sie, dann begannen ihre Beine fast unmerklich zu zittern. Sofort umklammerte sie ihre Oberschenkel, und zwar so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Es gelang ihr dann jedoch, diesen merkwürdig krampfartigen Zustand abzuschütteln. Sie holte einige Male tief Luft, und ihre Züge entspannten sich.
»Alles in Ordnung?«, fragte Ebba ernst und hoffte, dass den anderen der Anflug von Mütterlichkeit, der sich in ihre Stimme geschlichen hatte, nicht auffiel.
»Ja«, antwortete Caroline, ohne ihr mit dem Blick auszuweichen.
»W ir können auch später weitermachen, wenn Sie das wollen.«
»Nicht nötig«, erwiderte sie knapp, als sei es ihr peinlich, ein Objekt des Mitleids zu sein. Ebba entschärfte die Situation, indem sie rasch weiterfragte: »W enn ich es richtig verstanden habe, leiteten Sie in dieser kurzen Zeit eine leidenschaftliche Beziehung ein. Wie reagierten die anderen darauf?«
»W ir mussten vorsichtig sein. Unsere Beziehung war nicht ganz … unkompliziert.«
»Sie bekannten sich also nicht offen zu Ihrer Liebe?«
Caroline schüttelte den Kopf. »W as glauben Sie denn! Ich kam als Louises Freundin hier auf die Insel, das wissen Sie sicher. Ich wurde auch nicht plötzlich hetero, ich war vorher immer nur mit Männern zusammen. Aber eine Beziehung mit Raoul Liebeskind ist nichts, womit man gleich hausieren geht. Sie wissen doch, dass
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