Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
Ende nehmen wollen. Es fiel ihr nicht schwer, sich Raoul als leidenschaftlichen Liebhaber vorzustellen, und Helena, vermutete sie, hatte unter der kühlen Oberfläche ebenfalls eine ziemliche Gefühlstiefe zu bieten. Aber konnte diese Leidenschaft vielleicht auch in dunkle Abgründe führen?
»W ie war das Verhältnis jetzt zwischen Ihnen? Waren Sie immer noch ein Liebespaar?«
Das letzte Wort schien in Helenas Inneren einen Gefühlssturm zu entfesseln.
»In den letzten Tagen ist hier auf Svalskär so viel passiert. Ich weiß, dass ich Raoul immer lieben werde, die schönen Erinnerungen an ihn. Ich bin davon überzeugt, dass er für mich genauso empfand. Man wirft nicht einfach ein halbes Leben weg.« Helena seufzte tief, um wieder Kraft zu schöpfen. Sie hob ihr Glas. »Ich glaube, ich brauche noch einen Schluck. Zwei Sekunden.«
»V endela kann Ihnen ein Glas holen«, sagte Ebba. Diese stand sofort auf.
»Laphroaig«, meinte Helena, »und geizen Sie nicht mit Louises Vorräten.«
Sie ließ sich wieder zurücksinken. Es war ihr vollkommen gleichgültig, dass sie gegen alle Konventionen verstieß. Ebba betrachtete die Frau vor sich, die ihr bereits etliche Male in Djursholm begegnet war. In der Schlange am Geldautomaten, beim Obststand in Djursans Livs, bei Einladungen. Nach all diesen beiläufigen Begegnungen mit Lächeln und Floskeln waren sie jetzt in eine sehr unausgewogene Situation geraten, in der eine von ihnen sich gezwungen sah, bislang vollkommen undenkbare Fragen zu stellen und in die Privatsphäre der anderen auf fast unanständige Weise einzudringen.
Wenig später war Vendela mit einem halb vollen Glas zurück. Helenas Hand war überraschend kalt, als sie es entgegennahm. Sie räusperte sich, trank einen großen Schluck und fuhr fort, nachdem ihr Ebba auffordernd zugenickt hatte.
»In letzter Zeit verspürte ich zunehmend den Wunsch, hinsichtlich der Zukunft zu einem Beschluss zu gelangen. Für diese ganze Heimlichtuerei fehlte mir die Kraft. Vergessen Sie nicht, dass ich Familie habe, zwei Kinder und eine funktionierende Beziehung zu meinem Mann. Ich bin in der Tat glücklich verheiratet. In meinem Alltag gibt es Raoul nicht. Er ist … er war ein Mensch, der wie eine erotische Bombe ab und zu in mein Leben einschlug und mich aus der Fassung brachte. Aber jetzt war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mich gezwungen sah, mich zu entscheiden. Ich wollte für ihn nicht meine ganze Existenz aufs Spiel setzen. Das war er nicht wert. Ich verdiente mehr, als auf seine Anrufe zu warten. Oder heimlich sein Hotelzimmer aufzusuchen und mich unentdeckt von dort nach Hause zu schleichen. Das war unter meiner Würde. Das bin nicht ich.« Sie trank einen Schluck und stellte ihr Glas ab. »Er war ein Mensch, gegen den man sich nicht wehren konnte. Man konnte ihn nicht aufgeben. Er war ein unwahrscheinlicher Liebhaber, der beste, das muss ich ihm lassen.«
Ebba fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich abzukühlen. Vielleicht lag es daran, dass so viel von Sex die Rede war, Erotik spielte sonst in ihrem Leben schon des Längeren keine Rolle mehr. Vielleicht war der Sauerstoff aber auch nur knapp geworden, und sie sehnte sich nach dem kühlen Herbstwind. Sie stand auf und öffnete ein Fenster. Kälte drang ins Zimmer.
»W enn ich es richtig verstanden habe, flirtete er offen mit Anna«, sagte Ebba und nahm wieder am Schreibtisch Platz. »Glauben Sie, dass er irgendwelche ernsthaften Absichten hatte?«
»Keinesfalls.«
»W ie können Sie sich so sicher sein?«
»Ganz einfach. Ich kannte Raoul. Besser als alle hier auf der Insel einschließlich Louise, wage ich zu behaupten. Obwohl er in der Lage war, mir emotional vollkommen den Kopf zu verdrehen, muss mir die Feststellung erlaubt bleiben, dass ich intellektuell in einer ganz anderen Liga spiele. Verstehen Sie das richtig, Ebba, ich will nicht auftrumpfen, ich sage einfach, wie es ist. Ich wusste immer, woran ich bei ihm war. Was Anna betraf, so fragte ich ihn unumwunden, ob ihm klar sei, dass sie ihn liebt. Aber er wollte davon nichts wissen, er könne sich das gar nicht vorstellen, er ermuntere Anna in keiner Weise. Aber genau das tat er. Er fachte ihre Sehnsucht an. Verstehen Sie? So war Raoul.«
»Glaubten Sie deswegen, dass es ihm auch mit Ihrer Schwester nicht ernst war?«
»Ich kann nicht für Caroline sprechen, ihre Beziehung, ich weiß nicht, was da wirklich zwischen den beiden war. Aber ich
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