Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
hatte durchaus Angst, dass er sie ebenfalls verletzen würde. Sie verlassen würde. Ich habe sie noch nie so verzweifelt erlebt wie nach seinem Tod. Sie liebte ihn, und es wäre ihr sehr schwergefallen, darüber hinwegzukommen, verlassen zu werden.«
»Machen Sie sich Sorgen um Ihre Schwester?«
»Caroline … « Helena zögerte kurz. Als sie mit leiserer, vertraulicherer Stimme fortfuhr, wählte sie ihre Worte sehr sorgfältig. »Caroline kann den Eindruck erwecken, stark zu sein, aber innerlich ist sie zerbrechlich. In ihrer Jugend hatte sie ziemliche Probleme und hat sie immer noch. Anorexie und Panikattacken. Es ist nicht leicht, eine Diagnose zu stellen. Eine Zeit lang habe ich mir ernsthafte Sorgen um sie gemacht, aber die schlimmsten Jahre liegen hinter ihr. Trotzdem befürchte ich immer einen Rückfall. Ich sehe ihr sofort an, wenn es ihr nicht gut geht.«
»W ie jetzt?«
»Ja, natürlich.«
Eine Bö drückte das Fenster auf. Ebba stand auf, aber Vendela kam ihr zuvor und schloss das Fenster wieder.
»Glauben Sie, dass sie mit seinem Tod etwas zu tun haben könnte?«
»Mit Sicherheit nicht. Warum sollte sie ihn umbringen? Weil sie eifersüchtig auf mich war? Absurd! Caroline würde mich ausschimpfen, mich anschreien, fluchen, treten, aber keine von uns würde Raouls Tod wollen.«
Ebba nickte und klappte ihren Laptop zu.
»Danke für Ihre Hilfe. Mir ist klar, dass es nicht einfach gewesen sein kann, so viele Jahre eine heimliche Beziehung zu haben.«
Helena sah Ebba erschöpft an. Sie nahm das Glas und trank die letzten Tropfen.
»Noch etwas«, sagte sie, als sie sich erhob und die Bügelfalte ihrer Hose zurechtrückte. »Ich weiß, dass ich keine Garantien erwarten kann, aber ich wäre sehr dankbar, wenn von alldem nichts zu meiner Familie durchdringen würde. Ich habe mir all die Jahre größte Mühe gegeben, damit sie von meiner Affäre nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.«
Ebba betrachtete Helena und sah zum ersten Mal die besorgte Ehefrau und Mutter, eine Frau, der einen Augenblick lang die Selbstsicherheit abhandengekommen war.
»W ir können, genau wie Sie sagen, nichts versprechen. Wenn es keinen guten Grund gibt, diese Information weiterzuverbreiten, dann werden wir das auch nicht tun.«
»V ielen Dank.«
Helena gab Ebba die Hand.
»W enn wir hier fertig sind, würde ich gerne so schnell wie möglich abreisen. Sie wissen, wo Sie mich erreichen können. Aber wie Sie sicher verstehen, finde ich es unerträglich, auf dieser Insel zu bleiben.«
Kabale und Liebe, dachte Ebba, als sie ihren Mantel anzog und sich in die wunderbare Herbstlandschaft Svalskärs begab. Sie hatte Vendela bereits zum Polizeiboot geschickt, um zusammen mit Jakob die Angaben zusammenzustellen und ihre Notizen ins Reine zu schreiben. Nachdem sie mehrere Stunden Vernehmungen durchgeführt hatte, musste sie wieder einen klaren Kopf bekommen und alle Eindrücke ordnen. Sie ging an den Felsen entlang. Die Wellen schlugen plätschernd ans steinige Ufer, silbergraue Muster überzogen die dunkle Tiefe. Die Sonne war hinter den Wolken verschwunden, sofort wurde es kälter, eine Vorahnung des Winters.
Obwohl sie es nach all den Jahren gewohnt war, diejenige zu sein, die die anderen antrieb, so forderte diese Anstrengung doch zu guter Letzt ihr Recht. Die schmerzlichen Geständnisse und Enthüllungen, die sie erzwang, hinterließen auch bei ihr Spuren. Nicht weil sie sonderlich bemerkenswert gewesen wären, sondern weil sie die beteiligten Personen in ihrer allergrößten Verletzlichkeit zeigten. Auch einen Mörder.
Raoul Liebeskind war ein Mann gewesen, der starke Gefühle des Begehrens und der Liebe erweckt hatte, die nicht einmal im Laufe vieler Jahre verflogen waren, sondern die Frauen in seinem Umfeld noch immer in Schach hielten. Warum hatte sich nicht einmal ein so vernünftiger Mensch wie Helena von ihm lösen können? Weil sie ein Suchtproblem hatte, das unter einer extrem dynamischen Oberfläche schwelte, die ihre destruktive Seite verbarg? Ganz anders als ihre Schwester, die sich ihrer Neurosen nicht schämte und ungehemmt ihre Leidenschaften auslebte. Wer von den beiden war aufrichtiger? Und wie schwach war Caroline eigentlich wirklich? Schwäche ließ sich als Waffe einsetzen, um sich Vorteile zu verschaffen und die Nachsicht anderer zu erlangen.
Ebba betrachtete den westlichen Horizont. Ein schnelles Motorboot bewegte sich auf Svalskär zu. Je näher es kam, desto lauter wurde das Motorengeräusch, bis das
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