Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
blickte sie direkt an. Sie konnte sich noch erinnern, wie sie im Plattenladen gestanden hatte und dass er einer der Hauptgründe gewesen war, warum sie ausgerechnet diese CD gekauft hatte und nicht eine ältere Aufnahme mit David Oistrach.
Jetzt ließ sie sich von seiner mitreißenden ersten Geige verführen. Wie gut er war. Wie lebendig. Seine Präsenz in der Musik verursachte ihr eine Gänsehaut. Die Musik klang sehr gegenwärtig, und man hörte die Atemzüge der Musiker, die bewusst mit aufgenommen worden waren, um Nähe zu erzeugen. Durchdrungen von diesem Erlebnis begab sie sich in ihr Büro und nahm an ihrem Schreibtisch Platz. Dort lag ein großer brauner Briefumschlag von Svante. Sie wusste bereits, was er enthielt, und es graute ihr etwas davor, ihn zu öffnen. Dann atmete sie tief ein, öffnete den Umschlag und zog die Fotos von der Obduktion hervor.
Sofort verstummte die Musik in ihrem Kopf. Da lag er also, reglos und bleich, die grau melierten Locken glatt nach hinten gestrichen, sein Gesicht vollkommen ausdruckslos, ein blaulila Kratzer auf der Wange, die Hände mit den langen Fingern neben den Schenkeln. Wie viel Schönheit diese Händen doch geschaffen hatten. Welche großen Gefühle durch sein Herz geströmt waren. Sie konnte auf einem Foto in seinem geöffneten Brustkorb auch sein Herz betrachten. Sie sah sein Glied, schlaff und verbraucht, tief eingebettet in dunkles Haar, das sich als Streifen auf seinem Bauch fortsetzte. Hier war der Körper, den Anna, Helena und Caroline geliebt und von dem sie sich hatten umfangen lassen.
Überwältigt griff sie zum Obduktionsprotokoll und legte es auf die Fotos, um nichts mehr sehen zu müssen. Rasch überflog sie die Zeilen, um sich bestätigen zu lassen, was sie bereits wusste. Die Frage, wer Raoul getötet hatte, würde sie hier nicht finden.
Es klopfte laut, und Ebba richtete sich auf. Vendela schaute zur Tür herein.
»Caroline ist hier«, teilte sie mit.
»W arte einen Augenblick«, erwiderte Ebba, schob die Obduktionsfotos zusammen und legte sie in die Schreibtischschublade. Dieser Anblick soll Caroline erspart bleiben, dachte sie. Sie ist eh schon durchgedreht.
Sie schob die Schublade zu und bedeutete Vendela, Caroline zu holen. Während sie wartete, las sie ihre E-Mails. Die neueste war von Svante: Peders Ring habe vermutlich den Kratzer auf Raouls Wange verursacht. Außerdem lagen die ersten Analyseresultate der Gegenstände von Svalskär vor.
Ebbas Augen weiteten sich, als ihr Blick auf den Bericht über die Flasche mit dem Erdnussöl fiel. Sie schnappte nach Luft. Sie musste die Zeilen dreimal lesen, um sicher zu sein, dass sie richtig gelesen hatte.
Dieses Mal erschien Caroline af Melchior in Begleitung einer Anwältin. Ebba fragte sich, wer ihr diesen Rat gegeben hatte, und beschloss, sich die Antworten noch aufmerksamer anzuhören.
»W illkommen, Caroline. Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte Ebba.
»Ebba«, sagte die Frau in dem knappen Kostüm aus kariertem Tweed und hielt ihr die Hand hin. Sie war Anfang sechzig und sah mit ihrer Kurzhaarfrisur aus wie eine kleine Bulldogge. Um Hals und Handgelenke trug sie mehrere dünne Goldketten. Ihre Waden waren schmal, ihr Oberkörper hingegen stellte eine unförmige Masse dar, dem ihr maßgeschneidertes Kostüm eine Illusion von Figur verlieh.
»So nett, Sie wieder einmal zu sehen, Regina«, erwiderte Ebba. »Sie vertreten also Caroline af Melchior.«
»Ich bin seit dreißig Jahren der Anwalt der Familie af Melchior und habe diese Aufgabe von meinem Vater übernommen.«
Der Baron also hatte seiner Tochter den Beistand gestellt. Eine kluge Wahl, dachte Ebba. Mit Regina Albrechtson zusammenzuarbeiten bedeutete immer, dass alles gesittet zuging. Sie verhielt sich ihren Mandanten gegenüber immer sehr loyal, unterließ es aber, sie derart zu kontrollieren, dass es dann letztendlich nur zu Versprechern und unnötigen Missverständnissen kam.
Caroline trug einen engen weinroten Wildledermantel mit Pelzbesatz. Ihre dunkelbraunen, üppigen Locken fielen ihr weich auf die Schultern. Unter dem Mantel trug sie ein Baumwollhemd und eine Jeans, deren Gürtel eine untertassengroße Silberschnalle zierte. Ihre Stiefel hatten wie immer sehr hohe Absätze, die ihr eine Größe von fast zwei Metern verliehen. Das gewagte Aussehen gab ihr etwas von einem androgynen Rockstar. Interessante Kleiderwahl für eine polizeiliche Vernehmung, dachte Vendela. Sie streckte die Hand nach dem Tonband aus und schaltete
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