Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
doch zu so etwas fähig? Fanden Vendela und Jakob sie ungehobelt? War das ihr Ruf unter den Kollegen? Hatte Göran sie deswegen nicht befördert? Weil ein Mann ungehobelt sein durfte? Vielleicht war das ja sogar erstrebenswert, während es der Glaubwürdigkeit einer Frau schadete? Oder war sie einfach morgens vor dem Spiegel über ihre eigene Eitelkeit gestolpert und hatte die Polizeiuniform zu Hause vergessen?
Sie beschloss, Pontus’ SMS nicht zu beantworten. Wollte er einen Bericht, musste er sich an die Bürozeiten halten oder ins Krankenhaus bequemen. Stattdessen forderte sie Vendela an. Nachdem sie ihre SMS verschickt hatte, ging sie wieder rein und ließ sich auf eine Bank sinken. Sie legte den Kopf müde an die Wand und versuchte sich zu entspannen. Langsam sanken ihre Schultern herab, sie schloss die Augen und merkte gar nicht, dass sie einschlummerte. Zeit und Raum schwanden, bis sie ein Schnarchen vernahm und eine Hand spürte, die sie sanft schüttelte. Zu ihrem Entsetzen merkte sie, dass sie selbst es war, die schnarchte. Ein kühler Speichelfaden lief ihr aus dem Mundwinkel. Sie hatte geschnarcht und gesabbert und konnte nur ihrem Glücksstern dafür danken, dass sich nicht Pontus Strindberg über sie beugte und sie wach rüttelte, als hätte sie zu viel getrunken.
Es war Vendela. Sie lachte und schüttelte sie noch fester.
»Meine Güte! Habe ich lange geschlafen?«, fragte Ebba und richtete sich auf, die Hand am Mund, um die Spucke wegzuwischen.
»Ich weiß nicht. Ich bin gerade erst gekommen«, antwortete Vendela.
»W ie spät ist es?«, fragte Ebba und sah auf der großen Uhr an der Wand, dass es mittlerweile fünf vor vier war. Sie hatte eine Dreiviertelstunde lang geschlafen.
»Okay. An die Arbeit«, sagte Ebba und erhob sich. Sie hatte ihre hohen Absätze vergessen und stolperte beim ersten Schritt, fing sich aber sofort wieder. Der Oberschenkelhals, Ebba, der Oberschenkelhals!, dachte sie und musste etwas über sich lachen.
»Ich bin Kommissarin Schröder«, sagte Ebba am Anmeldetresen. »Ich müsste mit Anna Ljungberg sprechen. Hat Sie sich halbwegs erholt?«
»Ich schaue mal nach«, antwortete die Krankenschwester und eilte davon. Sie kehrte mit einer Ärztin zurück, einer aschblonden Frau Anfang zwanzig. Sie hatte noch Pickel.
»Sie wollten zu Anna Ljungberg?« Sie schaute in eine Krankenakte. »Dürfte ich bitte Ihre Ausweise sehen?«
Vendela und Ebba holten ihre Dienstausweise hervor, und die Ärztin musterte sie eingehend. »Sie ist auf die Intensivstation verlegt worden«, sagte sie. »Folgen Sie mir bitte.«
In einem hellen Zimmer stand ein einzelnes Bett. Neben dem Bett saß eine Pflegehelferin und hielt Wache. Sie war in ein Taschenbuch vertieft, das sie nur sehr widerwillig beiseitelegte.
»Es wäre nett, wenn Sie uns eine Weile allein lassen könnten«, sagte Ebba. Die Sitzwache sah die Ärztin an und diese nickte.
»Sie haben zehn Minuten, dann kommt Schwester Åsa zurück«, sagte die Ärztin und verschwand, gefolgt von der Sitzwache, durch die Tür.
Anna lag reglos im Bett. Ein Schlauch für Sauerstoff hing unter ihren Nasenlöchern, und eine Infusion lief ihr durch eine Kanüle in den Handrücken. Die Einrichtung des Zimmers hätte selbst einen kerngesunden Menschen krank erscheinen lassen. Anna wirkte jedoch hauptsächlich müde und entmutigt. Sie schloss die Augen, als sich Ebba und Vendela mit Stühlen ihrem Bett näherten.
»Lächerlich, nicht wahr?«, flüsterte sie.
Ebba pflichtete ihr kühl bei: »Allerdings, wenn Ihr Ziel war, sich und anderen das Leben zu nehmen, und wenn Ihnen nur die Hälfte davon gelungen ist.«
Anna antwortete nicht. Ihre Augen waren immer noch geschlossen.
»Ich frage mich, was in diesem Falle zuerst kam«, sagte Ebba und wartete auf Annas Reaktion. Diese ließ eine Weile auf sich warten, und Ebba überlegte sich schon, ob Anna eingeschlafen war. Dann öffnete sie jedoch den Mund und räusperte sich.
»Ich wollte mir schon auf Svalskär das Leben nehmen«, begann Anna. »Ich hatte so viele Erinnerungen dort, so viele wunderbare Erinnerungen aus meiner ersten Zeit mit Raoul. Es wurde mir schmerzlich bewusst, dass wir ganz verschiedene Wege gegangen waren. Genauer gesagt war er seinen Weg weitergegangen, während ich immer noch auf der Stelle trat. Ich war plötzlich so müde. Ich hatte wirklich versucht … mich aufzurappeln. Mich zusammenzureißen, mich nicht hängenzulassen. Ich versuchte stark zu sein, fröhlich und positiv …
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