Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
mich zu ihm, um Trost zu suchen. Dann begann ich auszuführen, was ich mir vorgenommen hatte, und nippte an dem Wein. Es war ein schönes Gefühl, neben ihm zu sterben. Raoul war von dem Faustschlag noch recht benommen und hörte mir kaum zu. Plötzlich nahm er das Glas aus meiner Hand und trank. Mein erster Impuls war, ihn daran zu hindern. Aber dann kam es mir ganz richtig vor. Dass wir zusammen sterben würden, das hatte etwas von Romeo und Julia. Das war gewissermaßen so vorausbestimmt gewesen. Das Schicksal.«
Sie hielt inne und hustete leise.
»W ir unterhielten uns weiter. Nach einer Weile sprach fast nur noch ich, ich sprach über alles Mögliche, ich erinnere mich nicht mehr, über was. Raoul war neben mir vornübergesunken. Ich dachte erst, er müsste sich ausruhen. Ich versuchte, den letzten Schluck zu trinken, aber er hatte das Glas fast ganz geleert. Nicht einmal meinen eigenen Selbstmord gönnte er mir.«
Sie wandte ihr Gesicht zur Wand und strich mit den Fingerspitzen über eine Unebenheit der Tapete. »Als ich merkte, dass er nicht mehr antwortete, sah ich ihn an. Er schien zu schlafen. Ich stieß ihn vorsichtig an, und er glitt von der Bank und blieb auf dem Steg liegen.«
Einen Augenblick unterbrach sie ihre Erzählung und strich sich über die Stirn. Die Erinnerungen strengten sie an. Die Stille im Zimmer war so durchdringend, dass sie ihre Atemzüge hören konnten. Ebba wartete geduldig auf die Fortsetzung.
»Ich geriet natürlich in Panik«, sagte Anna, »als ich spürte, wie das Dexofen zu wirken begann und ich immer noch am Leben war. Gleichzeitig war ich aber so benommen und müde, dass ich mit der Situation nicht umgehen konnte.«
»Deswegen wirkten Sie am nächsten Tag auch so abwesend«, meinte Vendela. Anna nickte. Diskret legte Ebba Vendela eine Hand auf den Arm, um ihr Zurückhaltung zu gebieten. Vendela sah Ebba an, und diese zog leicht die Brauen hoch. Die zerbrechliche Vertraulichkeit durfte nicht zerstört werden. Anna schien ihre wortlose Kommunikation jedoch nicht zu bemerken. Stattdessen fuhr sie von sich aus fort, als sei sie trotz allem erleichtert, die Schuld nicht allein tragen zu müssen.
»Erst wusste ich nicht, was ich tun sollte. Raoul lag einfach da, und ich kam mir plötzlich fürchterlich allein vor. Ich fror. Ich konnte einfach nicht mehr dort draußen bleiben, also schleppte ich mich ins Haus, spülte das Glas und räumte es weg. Dann ging ich in mein Zimmer und legte mich auf mein Bett, um zu sterben. Ich glaubte an diesem Abend wirklich, dass ich sterben würde. Aber ich schlummerte nur eine Weile ein. Dann erwachte ich davon, dass Caroline nach Raoul rief. Ich erfuhr später, dass sie rumgerannt war und nach ihm gesucht hatte. Eine Weile stand sie direkt unter meinem Fenster. Man hörte sie überdeutlich. Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Glieder waren bleischwer. Aber dann wurde ich doch unruhig und ging nach unten, um zu sehen, was los war. Da wurde Caroline vollkommen hysterisch. Kjell hatte die Leiche gerade gefunden. Sie sagten, er habe im Wasser gelegen und sei vermutlich von den Felsen ins Wasser gefallen. Ich glaubte, er wäre wieder munter geworden, nachdem ich den Steg verlassen hatte, und ins Meer gestürzt. Was sollte ich auch anderes glauben? Wie hätte er sonst ins Wasser geraten sollen?«
Es war wie Romeo und Julia, nur umgekehrt, dachte Ebba. So beiläufig wie möglich stellte sie ihre nächste Frage: »W ar denn Raoul nicht tot, als sie ihn verließen?«
Anna schluckte und zog die Beine an.
»Ich weiß nicht. Ich war selbst so müde und benommen. Ich habe also nicht gelogen, als ich sagte, dass ich glaube, er sei ins Wasser gefallen und ertrunken.«
»Aber Sie haben bewusst gewisse Details des Verlaufs ausgelassen«, sagte Ebba.
»Ich schämte mich. Ich schämte mich so. Ich konnte nur noch einmal versuchen, mir das Leben zu nehmen. Mit Wein und Dexofen und mich dann ins Meer werfen. Um genauso zu sterben wie Raoul. Als ich diesen Entschluss gefasst hatte, war es wie eine Befreiung. Wir würden wieder vereint werden.«
Wieder wurde es still. Unausgesprochenes hing in der Luft. Auch beim zweiten Mal war es ihr nicht geglückt. Wenn es nicht so tragisch gewesen wäre, hätte es regelrecht komisch sein können.
»W as haben Sie mit der Dexofen-Schachtel gemacht?«
»Ich verbrannte sie mit ein paar Pappkartons im Kachelofen im Salon. Dann streute ich die Asche ins Meer und heizte wieder ein.«
»Und wo hatten Sie das Dexofen her,
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