Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
in ihrem Sessel zurück. Als sich die Arbeitsruhe vollends eingefunden hatte, betrachtete sie mit höchster Zufriedenheit Raouls und Carolines spielerische Leichtigkeit über die Notenständer hinweg. Endlich schienen sie einander gefunden und die sinnlose Unstimmigkeit zwischen sich vertrieben zu haben. Nun würden sie gute Freunde sein, ganz wie sie es sich gewünscht hatte.
Raoul reckte seinen Oberkörper und ließ den Bogen mit weit ausholenden Bewegungen über die Saiten fahren, als sei dieser ein Degen. Caroline beugte sich mannhaft wie immer über ihr Cello. Jedes Mal, wenn Raoul Carolines Blick begegnete, zog er ironisch die Braue hoch, und sie musste lachen. Jetzt spielte sie sicher, jetzt geriet sie nicht mehr aus dem Takt. Mit streitlustiger Konzentration schwang sie den Bogen und ließ die Fingerspitzen über das Griffbrett huschen. Heftige Atemzüge und stoßweises Ausatmen erfüllten die Pianopartien, die weiteren Fortepartien und herzzerreißenden Phrasen vorausgingen. Da sie die Musik nun einmal an sich herangelassen hatte, gab es keine Möglichkeit der Rettung mehr. Hatte sie sich nicht bis ins Letzte dagegen gewehrt? War es nicht in gewisser Weise Louises eigene Schuld, dass es so gekommen war? Sie hatte schließlich darauf bestanden, dass sie zusammen Brahms spielen würden. Zu diesem Zeitpunkt gelang es Caroline, sich einzureden, dass sie selbst fast keine Schuld traf.
Wer das Mittagessen zubereiten sollte, war bereits entschieden. Raoul und Caroline würden Nudeln kochen, während die anderen auf der Terrasse warteten. Obwohl auf dem Festland Unwetter herrschte, schien auf Svalskär die Sonne von einem wolkenlosen Himmel. Die Herbstluft war jedoch kühl, und die drei Frauen, die mit großen Sonnenbrillen nebeneinandersaßen, legten sich alle eine dünne Wolldecke um die Schultern.
Louise betrachtete den Horizont und atmete genüsslich die Meeresluft ein. »W ie sehr ich es doch liebe, im Herbst hierherzukommen. Es ist dann immer so ruhig und friedlich. Himmel und Meer, Möwen … «
»Findet ihr nicht auch, dass er etwas down wirkt?«, unterbrach sie Anna ruhelos.
»W er?«
»Raoul natürlich!« Anna holte tief Luft, um sich ihre Gefühle nicht allzu sehr anmerken zu lassen. »Man unterhält sich mit ihm, und plötzlich ist er vollkommen abwesend, als gingen ihm Gedanken durch den Kopf, die er nicht loslassen kann. Etwas bedrückt ihn. Das spüre ich. Wir haben uns immer schon ohne Worte verstanden. Und wenn ich ihn jetzt so sehe, empfinde ich eine solche Zärtlichkeit, er kommt mir so verletzlich vor, wenn er auf diese Art in sich selbst versinkt. Es ist fast so, als müsste ich mir Sorgen um ihn machen.«
»V erletzlich? Dieser Mann ist so verletzlich wie ein Panzerwagen«, lachte Helena und fuhr gefühllos fort: »Deine Besorgnis ist überflüssig.«
»Helena, entschuldige bitte, aber du kennst ihn nicht so gut wie ich«, erwiderte Anna ein wenig beleidigt. »Und ich glaube einfach nicht, dass er so richtig glücklich ist.«
»V ielleicht ist er ja wirklich etwas angespannt«, begann Louise zögernd, »aber das liegt vermutlich an der Sache mit Joy.«
»Joy?« Ein Funke tauchte in Annas Augen auf.
»Sie haben seit Ewigkeiten versucht, ein Kind zu bekommen. Jetzt ist offenbar schon die dritte In-vitro-Befruchtung fehlgeschlagen. Sie ist es, die andauernd anruft. Raoul hat in letzter Zeit auch sehr viel über Veränderung gesprochen. Ich frage mich fast, ob er in einer Midlife-Crisis steckt.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Das mit dem Kind ist in jedem Fall mehr Joys Wunsch. Raoul war nie sonderlich an Kindern interessiert«, meinte Anna etwas verlegen. »Und was soll das mit der Lebenskrise? Hat das Leben ohne Kinder etwa keinen Wert?«
»Es ist doch wohl ein natürlicher, menschlicher Wunsch, Kinder zu bekommen«, meinte Louise.
»Aber Louise, du von allen … ich meine, du hast dich doch wohl ganz offenbar gegen Familie entschieden?«
Louise schaute zu Boden. »W ieso sollte ich mich denn nicht auch nach Kindern sehnen?«
»T ust du das denn?« Helena betrachtete eingehend ihr Profil.
Louise ließ sich eine Weile mit ihrer Antwort Zeit. Sie war sich nicht sicher, wie viel sie enthüllen sollte. »Ja, das tue ich in der Tat.«
»Und Caroline?«, fragte Helena vorsichtig, wurde aber von Anna unterbrochen, die noch ganz mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war.
»Ich bin es manchmal so leid, dieses ständige Gerede von Familie, Familie, Familie!«, stöhnte sie und
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