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Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso

Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso

Titel: Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Bartosch Edström
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lauter an die Scheibe. Hörte sie ihn nicht? Er presste sein Gesicht gegen die Scheibe und rief ihren Namen. Entweder drangen Geräusche nicht durch, oder sie wollte sich nicht umdrehen. Caroline spielte tief konzentriert weiter. Der Regen wurde stärker. Wenig später waren seine Haare nass. Das Wasser lief ihm übers Gesicht und in den Kragen. Seine Schultern bebten vor Kälte. Trotzdem fiel es ihm schwer, sich von ihrem Anblick loszureißen. Während er dastand und ihr mit verschränkten Armen zuhörte, fand er, dass sie doch etwas zu frei spielte. Der schöne Klang, der ihn aus dem Nebel hervorgelockt hatte, hatte etwas Spitzes bekommen. Vielleicht störte er sie.
    Wenn er noch etwas länger geklopft hätte, hätte sie vielleicht ihr Instrument beiseitegelegt und sich in seine Arme schließen lassen. Stattdessen machte er verzagt kehrt und ging um das Haus herum zur Haustüre.
    Als er in die Diele trat, begegnete er Louise, die zwischen Speicher und Keller hin- und herrannte, um eventuelle Wasserschäden zu begutachten. In nur wenigen Minuten hatte der Wolkenbruch vom Festland Svalskär erreicht und überflutete die Insel. Der Regen hämmerte aufs Dach und hallte im ganzen Haus wider. Raoul zog sein nasses Jackett aus und wischte sich mit dem Ärmel seines Hemds das Wasser aus dem Gesicht. Aus der Küche waren Schritte zu hören. Eine Weile lang glaubte er, es sei Caroline, aber dann tauchte Helena in der Diele auf. Als sie ihn entdeckte, hob sie das Kinn und wollte offenbar ein Gespräch beginnen. Raoul brachte jedoch eine vage Entschuldigung vor, eilte die Treppe hinauf in sein Zimmer und warf sich aufs Bett. Er starrte an die Decke. Aus den Augenwinkeln sah er seinen Geigenkasten, und das Herz wurde ihm schwer. Noch nie hatte ihn seine Geige so sehr an Pflichten und Zwänge erinnert wie jetzt. Sie repräsentierte alles, was sein Leben langweilig machte. Sie war ein unerotisches Stück Holz.
    Seit über fünfundzwanzig Jahren lebte er jetzt mit »L’usignolo«, der Nachtigall, seiner kostbaren Guarneri del Gesù. Es war die längste Verbindung, die er bislang hatte aufrechterhalten können. Inzwischen war sie ein Teil seiner selbst geworden. Sie begleitete ihn, wohin er sich auch begab, da er immer nur beruflich unterwegs war. Aber was am Anfang seiner Karriere eine Quelle unbeschreiblicher Freude gewesen war, kam ihm immer mehr wie eine Bürde vor. Ruhm und Erfolg hatten ihre Faszination verloren. Er hatte alles erreicht. Er hatte auf allen wichtigen Bühnen gespielt, hatte die überschwänglichen Besprechungen gelesen und mehr schöne Frauen verführt, als er im Gedächtnis behalten konnte. Was gab es für ihn noch zu erobern?
    Er war sich dieser Entwicklung nun schon eine Weile bewusst, hatte sie aber nicht akzeptieren wollen. Vielen seiner Kollegen war es genauso ergangen, und sie hatten sich nie mehr aus dieser Depression befreien können. Einem Musiker in seiner Position durfte es einfach nicht passieren, dass er seine Gefühle für die Musik verlor. Überdruss und Gleichgültigkeit. Einen Augenblick lang hatte er wieder die Liebe erlebt, als er am Vormittag ein altes staubiges Brahms-Quartett gespielt hatte. Es war wie eine Heilung gewesen. Ganz unerwartet hatte ihm Caroline wieder die wunderbare Sensualität entlockt. Aber als sie ihn vorhin ausgeschlossen hatte, war sein Genuss verschwunden, und das Gefühl des Verlustes war noch größer geworden.
    Plötzlich verspürte er den Impuls, einfach das Fenster zu öffnen und die Geige in den Regen zu werfen. Fünf Millionen Dollar zum Teufel. Der Kaiser lässt die Nachtigall frei. Was für eine Erleichterung das sein würde! Natürlich war das vollkommen ausgeschlossen. Wie würde es aussehen, wenn einer der führenden Violinisten der Welt einfach aufhörte? Und was sollte er tun, wenn er nicht Geige spielte? Er konnte sonst nichts. Er zog die Beine an und biss sich in die Hand. Die Lösung, denn es gab nur eine, hallte in seinem Kopf. Sie würde seine Seele wiederbeleben und ihm die Kraft verleihen, weiterzumachen.
    Während er auf dem Bett lag, erwachte langsam wieder seine Lust. Er dachte an Caroline und ihren hellhäutigen Körper, und sein Begehren gab ihm frische Energie. Aber warum ging sie ihm aus dem Weg? Er erinnerte sich an alles, was er gesagt und getan hatte, aber konnte nicht begreifen, was falsch daran war. Vielleicht hatte sie ja nur in Ruhe üben wollen? Ja, so musste es sein. Sie war jung und ehrgeizig, sie befand sich an dem Punkt, an

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