Der Klang des Verderbens
dass ihre Lippen zitterten.
»Detective Sloan? Was ist los, was ist passiert?«
»Das war Daniels.«
»Ja, und?«
»Er hat gerade über den Polizeifunk gehört, dass vor ungefähr einer Stunde in Georgetown ein Raubüberfall mit Todesfolge stattgefunden hat.«
Ihm sank das Herz in die Hose. Großer Gott, hatte O’Neal sich Reverend Tippett tatsächlich schon vorgeknöpft?
»Es war Dr. Cavanaugh. Sie wurde auf der Straße hinter ihrem Stadthaus erschossen.« Ihre Stimme zitterte genauso sehr wie ihre Hand. »Sie ist tot, Jeremy. Dr. Cavanaugh ist tot.«
13
Eileen Cavanaugh wurde am Donnerstag, vier Tage nach ihrem brutalen, sinnlosen Mord durch die Hand grausamer Autoräuber, denen anscheinend ihr Mercedes gefallen hatte, zur letzten Ruhe gebettet.
Seit Ronnie am Sonntagabend in Nebraska den Anruf erhalten hatte, versuchte sie, dieses schreckliche Ereignis zu verstehen, damit fertigzuwerden. Tagtäglich war sie mit Verbrechen konfrontiert. Sie hatte mit Autoraub, Schießereien zwischen fahrenden Wagen, Familienmassakern, Terrorismus und Selbstmordattentätern zu tun gehabt.
Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit jemandem gesprochen zu haben, der kaum eine Stunde später auf offener Straße erschossen worden war. In den Medien nannten sie es einfach nur einen weiteren willkürlichen Gewaltakt, dann ging man zu anderen Themen über. Die meisten Einwohner von D.C. waren inzwischen immun gegen Schießereien und Straßenkriminalität. Wenn nicht eine Terroristenzelle oder eine Bombe beteiligt waren, dann merkten die Leute kaum auf. Ronnie verhielt sich genauso, gerade wegen ihres Berufs. Aber das hier … das ging ihr nah. Es machte sie verdammt traurig.
Sie hatte Dr. Cavanaugh nicht besonders gemocht, da sie ihr nicht nur gefühlskalt, sondern auch ein wenig seltsam vorgekommen war. Aber sie hatte sie gewiss respektiert und ihren Einsatz bei der Aufklärung sowohl dieses als auch des letzten Falles geschätzt. Sie war eine geniale Wissenschaftlerin, deren kluger Kopf vielen fehlen würde.
Vor allem Dr. Tate.
Sie blickte über die Grabstätte zu ihm hinüber; sein Gesicht war tränenüberströmt, sein langes weißes Haar wehte offen im Wind. Philip stand neben seinem Vater und hatte ihm eine stützende Hand in den Rücken gelegt; so besorgt hatte sie ihn noch nie gesehen. Der Friedhof war voller Trauergäste, zum Großteil Kollegen und einige Familienangehörige, die anscheinend von außerhalb angereist waren. Ein Fernsehteam stand auf dem Parkplatz – das hier schaffte es vielleicht in die Sechsuhrnachrichten; andererseits redete die ganze Stadt von nichts anderem als der Friedensdemonstration am nächsten Tag, daher vielleicht auch nicht.
»Wir sollten wahrscheinlich wieder los«, murmelte Sykes.
Daniels, der auf ihrer anderen Seite stand, stimmte ihm zu. »Ja, Ambrose hat mir schon zwei SMS geschickt, seit wir aus der Kirche raus sind.«
»Wundert mich nicht«, brummte sie.
Ihr Chef war nervös, genau wie jeder andere in den Sicherheitsbehörden von D.C., und mit jedem Tag, an dem sie Aaron Nicholas O’Neal nicht ausfindig machten, wuchs ihre Panik. Reverend Tippett hielt sich bereits in der Stadt auf und plante, heute Nachmittag mit einer Mahnwache auf dem Nationalfriedhof Arlington den Auftakt zu geben – nur wenige Kilometer von Ronnies Elternhaus entfernt, wo ihre Mutter immer noch wohnte. Tippett wollte mit den Oberhäuptern vieler ortsansässiger Kirchen zusammenkommen und am Grabmal des unbekannten Soldaten Friedensgebete sprechen.
Alle flippten aus; es war fast schlimmer als bei einem Besuch des Präsidenten. Das Friedhofsareal war gigantisch. Außerdem gehörte es nicht mehr zum District of Columbia, sondern lag in Virginia. Obendrein war der Park Bundeseigentum und somit nicht Zuständigkeitsbereich des D.C.P.D.; die Pflege und Sicherheit des Friedhofs lag in den Händen des National Park Service. Die waren weiß Gott nicht gerüstet, den sicheren Ablauf einer solchen Veranstaltung zu gewährleisten.
Ronnie hatte gehört, dass der Präsident persönlich Tippett gebeten hatte, sich das Ganze noch mal zu überlegen, aber der starrköpfige Mann hatte sich geweigert. Solange Lawton ihm den Auftritt nicht
verbot
, würde er kommen. Er würde sich nicht von jemandem zum Schweigen bringen lassen, der von Gewalt geleitet wurde.
Hm. Irgendwie war sie der Ansicht, dass der Mann zwangsläufig zum Schweigen gebracht würde, wenn er mitten in seiner Mahnwache erschossen wurde.
Alle
Weitere Kostenlose Bücher