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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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Wortes, es ist ein schönes, poetisches Wort, man kann sich schon aus diesem Grunde kaum dagegen wehren, und weil man das Wort nicht ablehnen kann, fällt es schwer, sich gegen die Idee zu wehren. Auf Worte hast du dich schon immer verstanden, schon als Knirps hast du die verrücktesten Wendungen aufgeschnappt und halbwegs richtig gebraucht, lange bevor du die Sache kennen konntest. Zum Entzücken von Maman. Und Reden hast du gehalten an Geburtstagen und Hochzeiten, die Leute grölten vor Vergnügen und Bewunderung, eine Mischung aus altklugem Priester und marktschreierischem Don Juan warst du. Du konntest die Leute zum Lachen, aber auch zum Weinen bringen, du hast die Gabe, dich in die Herzen der Menschen zu reden, sie zu halten und zu trösten, aber auch, sie im Innersten zu verletzen. Auf diese Weise hast du auch mich betört, vor allem mit dem Wort Gleichklang . Du hast es derart zelebriert, dieses Wort, daß ich nicht zu denken wagte, die Sache könnte undurchführbar oder gar zerstörerisch sein, eine wohlklingende Falle.
    Dabei ging es dir nicht ums Wort, sondern um die Sache. Nie wurde das deutlicher als an deiner Weigerung, ein Spiel zu spielen, in dem wir Gegner wären. Gegeneinander spielen - das war unmöglich. Du sabotiertest jeden Versuch, indem du mich absichtlich gewinnen ließest. Und einmal, als wir einem Tennismatch zusahen, sagtest du:«Stell dir vor, einer verliert in einem Endspiel und sagt nachher: ‹Ich konnte ihn nicht verlieren sehen, ich mag ihn viel zu sehr.› Wäre das nicht wunderbar?»
    Du warst ein Meister in der Kunst der geteilten Geheimnisse. Jedes dieser Geheimnisse war wie ein Überfall, und sie waren so geschickt gewählt, daß ich mir schrecklich vorgekommen wäre, hätte ich sie verraten. Auch diese Geheimnisse: Steine in der Mauer unseres Kerkers. Das einzige, was geholfen hätte, wäre gewesen zu sagen:«Ich will keine Geheimnisse mehr mit dir teilen.»Aber das hätte geheißen:«Ich liebe dich nicht mehr». Das zu sagen war undenkbar.
    Die Orte, die wir gemeinsam entdeckt hatten, waren wie mit einer Farbe überzogen, der Farbe der Ausschließlichkeit: Hier durften wir nicht mit anderen hingehen, höchstens allein.
    Was du von mir überhaupt nicht ertrugst: Ironie. Die spielerische Distanzierung, die darin liegt, sie war schon zuviel. Was unsere Liebe betraf, so warst du vollständig humorlos (genauso wie Maman, wenn es um dich ging). Dabei konntest du dich vor anderen selbst wunderbar auf die Schippe nehmen, du warst berühmt dafür, die Lehrer bewunderten die Reife, die sie darin sahen. Ich konnte nicht lachen, wenn ich zugegen war, weil ich wußte, daß ich diejenige war, die bei diesem Spiel draußen bleiben mußte; ich hatte dein Anker zu sein.
    Märchen einstreuen: Auch diese betörende Idee von dir entsprang, glaube ich, deiner unstillbaren Sehnsucht nach Gleichklang. Du wolltest andere in Erstaunen versetzen, am liebsten ganz aus der Fassung bringen durch eine Großzügigkeit, die sie für unvorstellbar gehalten hatten, weil sie jeden Rahmen und jede Vernunft sprengte. Wie damals vor dem Theater, als wir aus dem Taxi stiegen, voller Vorfreude und noch das Lachen über einen Scherz im Gesicht. Ein schüchternes Mädchen in einem schäbigen Mantel und groben, abgetragenen Schuhen, das Gesicht halb verdeckt von strähnigem Haar, hielt sich linkisch ein Stück abgerissenen Karton vor die flache Brust: Suche zwei Karten. Du kamst mit offenem Mantel und wehendem Schal auf meine Seite, um mir die Tür zu öffnen (das ließest du dir nicht nehmen, und ich ließ es geschehen, obwohl ich diese Sekunden der erzwungenen Untätigkeit und den besonderen Blick des Fahrers im Rückspiegel haßte), dein Arm war schon ausgestreckt zum Türgriff hin, da sahst du das Mädchen mit dem Schild, verharrtest einen Moment in schwankendem Gleichgewicht und holtest dann die Brieftasche aus der Jacke. Mein Blick war gleichzeitig mit deinem auf das Mädchen gefallen, und kaum hatte ich die drei Worte durch die beschlagene Scheibe hindurch gelesen, wußte ich, was nun kommen würde, das heißt, ich wußte es nicht, aber ich hatte wieder einmal dieses Gefühl, das mir eine deiner Maßlosigkeiten ankündigte, eine deiner absurden Großherzigkeiten, die von atemberaubender Rücksichtslosigkeit nicht zu unterscheiden sind.
    Du holtest die Karten im Wert von 160 Mark hervor und reichtest sie dem Mädchen, das sie vor die kurzsichtigen Augen hielt.«Die kann ich mir leider nicht leisten», sagte sie

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