Der Klavierstimmer
einigten uns darauf, sie in einen Karton zu tun, den wir im hintersten Winkel des Speichers versteckten. Spät in jener Nacht ging Frédéric nach oben und schob seine alte Kommode davor, von der er sich auch jetzt nicht hatte trennen können. ‹Wegen der Kinder›, sagte er.
Die Marmorfüße des häßlichen Dings scheuerten damals derart laut auf dem Steinboden des Speichers, daß ich Angst hatte, das Geräusch könnte euch wecken. Und nun, vor wenigen Tagen, hörte ich das gleiche Geräusch wieder, ich erkannte es sofort. Es war mitten in der Nacht. Frédéric ging danach in die Küche und machte die Tür ganz leise zu, um mich nicht zu wecken. Nach einer Weile hielt ich es nicht mehr aus und ging zu ihm. Er saß am Küchentisch und reinigte die Pistole. Mit dem wirren Haar und den grauen Bartstoppeln sah er aus wie ein Voyou, ein gealterter Landstreicher. Unsere Blicke trafen sich.
‹Er hat uns um die Zukunft betrogen›, sagte er. ‹Die Oper, das war die Zukunft. Unsere Zukunft.› Und nach einer Pause: ‹Es geht nicht, daß er eine Zukunft hat und wir nicht. Es geht nicht.›>
Während der letzten Worte entsicherte er die Waffe probeweise, das harte Geräusch riß die Worte in Fetzen. Es war, als hörte ich das Geräusch zum erstenmal. Der Nachhall, den es in mir hatte, wollte und wollte nicht enden, nicht einmal schwächer wurde er, im Gegenteil, der metallene, gewalttätige Klang schwoll zu etwas Unerträglichem an, vor allem nachts, wenn ich wach lag und die Schläge der Pendule das unaufhaltsame Schrumpfen des zeitlichen Abstands verkündeten, der uns vom Abend der geplanten Tat noch trennte. Dann betrachtete ich Frédérics Hände auf der Bettdecke und fragte mich, wie es in ihm aussehen mochte.
Je kürzer die Zeit wurde, die noch blieb, desto öfter sah ich diese Hände vor mir, wie sie in Linz die Opernkritiken in den Abfallkorb hatten fallen lassen. Könnten wir unseren mörderischen Vorsatz doch auch so leicht abstreifen!, dachte ich. Denn immer deutlicher spürte ich, daß wir zu Gefangenen unseres verschwiegenen Plans geworden waren. Das gnadenlose Geräusch der Pistole hatte aus dem schützenden Cocon einen Kerker gemacht. Panik überfiel mich, wenn ich feststellte, daß der Haß auf Antonio seine frühere Klarheit und Festigkeit in mir verloren hatte. Im Dunkel des Schlafzimmers suchte ich nach einer Lage, in der die Schmerzen besonders heftig waren, und tastete nach meinen zerstochenen Armbeugen, in denen die Blutergüsse sich aufschichteten. Damit der Haß wiederkäme. Ich ging in Gedanken zurück zu dem Morgen, an dem man mir im Hotel Antonios feige Abschiedsworte überreicht hatte. Dann wieder machte ich aus seinem aufgedunsenen Gesicht und dem schreienden Weiß der Zähne eine Fratze, die nicht abstoßend genug sein konnte. Doch der Haß, den ich auf diese Weise in mir zu versammeln und zu schüren suchte - er vermochte gegen das unheilvolle, unmenschliche Geräusch der entsicherten Waffe nicht zu bestehen.
Was werde ich tun, wenn der Haß, dessen ich mir so sicher war, immer mehr wegbröckelt?, fragte ich mich. Seit Wochen hatten Frédéric und ich in einem Gleichklang des Hasses geatmet. Was würde geschehen, wenn ich aus dem gemeinsamen Rhythmus herausfiel? Wenn er von der Arbeit kam, wartete ich am Fenster auf ihn. Wenn er kommt, werde ich es ihm sagen, dachte ich jedesmal, ich werde ihm sagen, daß ich es nicht will. Dann kam er, und seit er meine neue Gewohnheit des Wartens kannte, suchte er so früh wie möglich meinen Blick. Wir winkten nie, und auch gelächelt haben wir kein einziges Mal. Wir sahen uns einfach an, bis er durchs Gartentor auf die Haustür zuging, die ich ihm aufschloß. Sein Blick war so gerade und direkt wie immer. Doch erst jetzt, als sich unsere Blicke über diese neue Distanz hinweg verschränkten, verstand ich, was die Leute meinten, wenn sie sagten: In seinem Blickfeld ist es stets ein paar Grad kälter, oder: Man muß wissen, was man will, wenn man ihm unter die Augen tritt. Es ist, glaube ich, einfach die Unerschrockenheit und Bestimmtheit in seinem Blick, welche die Leute als Kälte mißverstehen. Die Wachheit in den Augen des guten Schützen. Was sie übersehen, ist das Angebot des Vertrauens, das darin liegt, das Versprechen der unbedingten Zuverlässigkeit. Vor allem das war es, was ich durch die Scheibe hindurch sah. Nein, es war unmöglich. Nach allem, was wir in letzter Zeit zusammen erlebt und durchlitten hatten, konnte ich ihn nicht im Stich
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