Der Klavierstimmer
bereitete ihm eine Ovation, die mehrere Minuten dauerte. Von den Rängen regnete es Blumen. Eine Großaufnahme der Fürstenloge wurde eingeblendet. Fürst Rainier III. und Prinzessin Caroline waren aufgestanden, und als sich der Komponist in ihre Richtung verbeugte, erwiderten sie die Verbeugung auf gemessene Art. Auf dem leeren Sitz, erklärte Vater heiser, habe der Komponist gesessen. Noch zwei weitere Male erschien der Komponist vor dem Vorhang, jeweils allein. Schwede sei der Mann, sagte der Kommentator, dreißig Jahre alt, und dies sei seine zweite Oper; auch für die erste habe er einen Preis bekommen.
Die ganze Zeit über hielt Vater den Brief aus Monaco in der Hand. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick darauf, wie um sich zu überzeugen, daß er ihn noch hatte. Als der Abspann begann, stoppte er das Band und ließ es zur Ausgangsposition zurücklaufen, die er auf dem Zählwerk markiert hatte. Lange Zeit sprach er kein Wort. Sein Schweigen, schrieb Maman, sei beredter gewesen als alle Worte.
Wie es Tradition sei, hieß es in dem Brief, werde die Aufführung von Vaters Oper in der letzten Oktoberwoche stattfinden. Wegen all der Dinge, die entschieden und vorbereitet werden müßten, werde man sich zu gegebener Zeit mit ihm in Verbindung setzen. Auch was den Festakt betreffe, sei einiges zu besprechen. Der Brief trug die Unterschrift einer Frau, deren Name ein Zungenbrecher war; sie vermuteten, er sei baskischen Ursprungs. Als Adresse war ein Postfach in Monte Carlo angegeben, dazu eine Telefonnummer.
Nun begann das Warten. Die ersten ein, zwei Wochen seien sie wie beschwipst gewesen, schrieb Maman. Alles schien leicht und ein bißchen unwirklich. Sie hatten lange überlegt, ob es in einem solchen Fall angebracht sei, einen Dankesbrief zu schreiben oder wenigstens den Empfang des Briefes zu bestätigen. Was ich dazu meine? (Fünfeinhalb Jahre waren vergangen, in denen sie mir Brief um Brief geschickt hatte, ohne das geringste Lebenszeichen von mir zu erhalten, und immer noch solche Fragen! Ist das nicht unglaublich? Einfach unglaublich?) Was den Dankesbrief nach Monaco anlangt, so entschieden sie sich schließlich dagegen, schrieb Maman. Sie meinte, es könnte unterwürfig oder kleinbürgerlich erscheinen. Wenn ich an den Brief denke, den Vater dann heimlich doch schrieb und den du in seinem Schreibtisch fandest: Was für eine abenteuerliche Mischung aus rührender Dankbarkeit und hölzerner Arroganz!
Maman entschied, daß man sich um die passende Garderobe kümmern müsse. Nicht nur für die Aufführung selbst, auch für die Zeit der Proben. Sie würden sicher im traditionsreichen Hôtel de Paris wohnen. Frack oder Smoking? Sie sahen sich die Videoaufzeichnung noch einmal an: Der schwedische Preisträger hatte einen Smoking getragen.
Du im Smoking!, sagte ich im Flugzeug zu Vater. Wenn es irgend jemanden gibt, zu dem das nicht paßt, bist du es. Du in Abendgarderobe mit seidenbesetztem Revers. Wie absurd! Das war es doch nicht, was du wolltest.
Er trug ihn ein einziges Mal, seinen Smoking. Um schließlich darin verhaftet zu werden. Ich stelle mir vor, wie er an jenem Abend hier im Entrée steht, während er auf Maman wartet. Er stellt sich vor den Spiegel. So, denkt er, hätte ich in der Fürstenloge und auf der Bühne ausgesehen. Was ich mir auch vorstellen kann: Es fällt ihm jener verächtliche Satz von GP ein: Er sieht auch in den teuersten Anzügen noch wie ein Handwerker aus. Er hat die Äußerung zufällig mitgehört. Erzählt hat er sie uns, als wir am Tage von GPs Beerdigung abends nach Berlin zurückflogen, während Maman in Genf blieb, um einiges zu regeln. Du fragtest, ob Maman ihn denn nicht verteidigt habe. Erinnerst du dich? Er wandte den Kopf und blickte zum Kabinenfenster hinaus.«Wir sinken», war alles, was er sagte.
Im nächsten Stadium ihres Wartens, schrieb Maman, sprachen sie oft über die Wendung zu gegebener Zeit, die in dem Brief aus Monaco gestanden hatte. Wann würde le bon moment sein? In welchen Zeiträumen mußte man denken? Sie machten eine Liste der Dinge, um die sich die Leitung des Wettbewerbs kümmern mußte: Die Partitur mußte gedruckt werden, einschließlich der Auszüge für die Sänger und die einzelnen Instrumente. Bühnenbilder waren zu entwerfen und herzustellen. Es galt, Sänger zu verpflichten und ihren Part jeweils mit Klavierbegleitung einzustudieren. Dann die Proben mit dem ganzen Orchester. Dirigieren, so nahmen sie an, würde Eliahu Inbal, der ständige
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