Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Titel: Der kleine Bruder: Der kleine Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
Vom Netzwerk:
nachher noch in die Zone.«
    »In die Zone?«
    »Die Zone in der Oranienstraße, Erwin, was hast du denn gedacht? Die Ostzone?«
    »Ich kenn die Zone, du Vogel. Da muß ich später auch noch hin.«
    Frank verstand nur Bahnhof. Vor ihm auf dem Tisch lag ein zerknittertes Päckchen Tabak.
    »Kann ich mir mal eine drehen?« sagte er in die Runde. Eigentlich hatte er schlimmen Hunger, er hatte seit der Suppe, die ihm seine Mutter am Mittag gegeben hatte, nichts mehr gegessen.
    »Keine Ahnung, wem das gehört«, sagte Karl. »Ist doch auch egaL«
    »Das ist mein Tabak,<, sagte Chrissie, »das ist überhaupt nicht egal, der gehört mir, das ist mein Tabak!«
    Frank schätzte sie auf etwa sechzehn oder siebzehn, ganz sicher konnte man sich da nicht sein, jedenfalls kam sie ihm viel jünger vor als er selbst, sehr jung und sehr mager war sie, und sie schaute drein wie jemand, der gleich seine Schularbeiten machen mußte.
    »Kann ich mir mal eine drehen?« fragte er sie.
    »Mir doch egal«, sagte Chrissie und zupfte sich in ihrem blondierten und buntgefärbten Haar herum. »Ist mir doch total scheißegal.«
    Kar! brach zwei Bierflaschen aus dem Karton des Sechserpacks heraus, öffnete sie mit einem Plastikfeuerzeug und schob sie zu Erwin und Frank über den Tisch.
    »Ich will auch eine«, sagte Chrissie.
    »Nix!« sagte Erwin. »Du hast schon was zu trinken.«
    »Ich will auch eine.«
    »Du bist doch gerade erst aufgestanden, wie willst du denn jetzt schon ein Bier runterkriegen! Mein Gott, wenn das Susi wüßte.«
    »Kannst sie ja anrufen!« sagte Chrissie.
    »Nein, kann ich eben nicht!«
    »Nun schieß schon los, Erwin«, sagte Kar!. »Sie ist doch alt genug.«
    »Mit siebzehn hab ich morgens noch kein Bier getrunken«, sagte Erwin.
    »Ich bin schon achtzehn«, sagte Chrissie. »Und wieso morgens, das ist doch schon abends!«
    »Du bist ja auch Spätentwickler, Erwin«, sagte Kar! und mußte darüber lachen. Er schob Chrissie eine Flasche Bier über den Tisch.
    »Die ist ja noch zu!«
    »Mußt sie halt aufmachen, Chrissie!«
    »Mach du die mal auf. Die von den anderen hast du ja auch aufgemacht!«
    Kar! seufzte und öffnete Chrissies Bierflasche. Chrissie stellte die Flasche vor sich hin und nahm wieder ihre Suppenschale mit dem Heißgetränk auf. »Arschloch!« murmelte sie.
    »Nun fang endlich an, Erwin, bevor ich einschlafe!«
    »Und was ist mit H.R.? Weiß bei dem auch keiner, wo der ist?« sagte Erwin.
    »Der ist wahrscheinlich schon in der Zone, ich kann ihm dann ja nachher alles erzählen. Oder du oder was weiß ich, du kannst mit H.R. sowieso kein Plenum machen!«
    »Der geht mir sowas von auf die Nerven!«
    »Wem nicht, Erwin. Umso besser, daß er nicht da ist.«
    Während die bei den so redeten, bemerkte Frank, daß Chrissie ihn über ihre Suppenschüssel hinweg anstarrte. Frank starrte zurück. »Ihr seid doch alles Wichser«, sagte sie und wendete den Blick ab.
    »Nun erzähl schon, was du zu erzählen hast, Erwin! Plenum, Erwin!« sagte Kar!.
    »Hör doch mit dem Plenumscheiß auf, Kerle. Okay, dann kannst du das ja H.R. erzählen, und der da erzählt das Freddie, wenn er wiederkommt. Wegen Freddie habe ich eh noch was zu sagen!«
    »Oh, oh!« sagte Karl und schüttelte seine Hand, als hätte er sie sich verbrüht. »Viel Spaß!« fügte er, an Frank gewandt, hinzu.
    »Wobei?!« sagte Frank. »Und Frank ist der Name. Frank. Nicht er und nicht der da und nicht du da! Daß das gleich mal klar ist.« Er fragte sich langsam, ob es überhaupt angehen konnte, daß sein Bruder hier wohnte, ob das nicht alles ein Irrtum war, ein Streich aus dem Paralleluniversum oder sowas, die sind doch alle total bekloppt, dachte er. Er zündete sich die fertiggedrehte Zigarette an und würgte, um die Leere im Magen zu bekämpfen, einen Schluck Bier hinunter.
    »Jedenfalls müßt ihr alle ausziehen!« sagte Erwin unvermittelt. »Ich brauch jetzt die ganze Wohnung.«
    »Hä?« Karl hob die Flasche und stieß mit ihr gegen die von Frank, daß es schepperte. »Immer schön anstoßen, scheißegal worauf«, fügte er hinzu. Dann trank er die Flasche in einem Zug halbleer. »Du hast sie ja nicht alle, Erwin!«
    »Wieso, das ist meine Wohnung, ich hab den Mietvertrag, und ich kann euch hier nicht mehr gebrauchen, ich brauch das jetzt alles für mich.«
    »Erwin! Das sind 260 Quadratmeter Fabriketage mit fünf eingebauten Zimmern, was willst du hier aufmachen, einen Puff? Eine Billardhalle? Oder was?«
    »Helga ist schwanger«, sagte Erwin.

Weitere Kostenlose Bücher