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Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Der kleine Bruder: Der kleine Bruder

Titel: Der kleine Bruder: Der kleine Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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Frank.
    »Überm Einfall, wir treffen uns im Einfall«, sagte ErwIn.
    »Und wo ist das Einfall?«
    »Wiener Straße. Das kann Karl dir zeigen. Oder Bosbach, wenn ihr euch jetzt so gut kennt. Kennt auch sonst jeder. Wiener Straße Ecke Ohlauer, gleich hier um die Ecke, die Ohlauer geht von der Reichenberger ab.«
    »Um sieben?«
    »Um sieben!« bestätigte Erwin.
    »Okay«, sagte Frank.
    »Und ich?« sagte Chrissie. »Was ist mit mir?«
    »Du kannst natürlich auch kommen.«
    »Ich weiß noch nicht, ob ich da Bock zu habe!«
    Erwin seufzte und ging wortlos davon.
    Frank und Chrissie blieben noch eine Zeitlang sitzen und schwiegen sich wieder an, bis Frank schießlich freiwillig aufgab und sagte: »Kann ich mal den Zucker haben?«
    Sie schob lächelnd den Zucker über den Tisch und sagte nichts, und Frank war ihr sehr dankbar dafür, denn er wußte nun: Chrissie hatte den Film auch gesehen!
13.   ALMUT
    Als Frank die Dieffenbachstraße erreichte, war es noch keine vier Uhr, aber es dämmerte schon, und in den Gaslaternen schimmerten bereits die Glühstrümpfe. Frank fror. Er trug einen Anzug seines Bruders und einen dazu passenden Mantel, aber beides taugte nicht viel gegen die bittere Kälte, und er fragte sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, seine eigenen, schon müffelnden und stellenweise auch dreckigen Sachen noch einmal anzuziehen, statt sich bei seinem Bruder etwas auszuleihen, das wäre vielleicht klüger gewesen, dachte er, so holt man sich ja den Tod, und bevor man ihn sich holt, dachte er, redet man schon in Gedanken wie seine eigene Mutter, das macht es erst richtig übel, dachte er, sich den Tod holen, wenn man in solchen Redensarten denkt, dachte er, dann steht es schon schlimm, das liegt nur an der Kälte, dachte er, die macht träge und stumpf im Kopf, und was macht es schon, wenn die Klamotten müffeln, die ganze Stadt müffelt doch mit ihrem Smog und ihrer Hundescheiße, dachte er, denn die Straßen waren voller Herbstlaub, und darunter verbarg sich die Hundescheiße und lauerte auf naiv und unbekümmert ausschreitende Neulinge wie ihn, das hatte er gerade eben, in der Schänleinstraße, auf die harte Tour lernen müssen. Das bringt überhaupt nichts, hier frische Sachen anzuziehen, geruchstechnisch macht das im großen und ganzen gesehen in dieser Stadt überhaupt keinen Unterschied, dachte er, aber andererseits sollte man auch nicht wie ein Penner aussehen und streng riechen, wenn man sich bei fremden Leuten nach seinem Bruder erkundigt, dachte et, vor allem dann nicht, wenn man einen Bruder wie Freddie hat, der stets wie aus dem Ei gepellt herumläuft, dachte er und hatte er auch vorhin gedacht, als er sich den unauffälligsten Anzug seines Bruders, einen schwarzen Einreiher aus Poly-Irgendwas, und ein weißes Hemd herausgesucht hatte, und auch das, dachte er, als er sich jetzt in der Dieffenbachstraße an die Gedanken erinnerte, die er beim Anlegen des erstaunlich gut passenden Anzugs gehabt hatte, ist ja schon wie die eigene Mutter gedacht, wenn man dabei einen Begriff wie >wieaus dem Ei gepellt< verwendet, dachte er, das kommt davon, wenn man gleich nach dem Aufwachen am Telefon mit seiner Mutter sprechen muß, das ist ein schwieriger Starr in den Tag, dann läuft einem gleich gedanklich alles aus dem Ruder, dachte er, während er die Dieffenbachstraße hinunterging und dabei immer schön links und rechts nach der Galerie Ausschau hielt, die - passend zu seinem Anzug, wie er grimmig dachte - den albernen Namen >Kunststoff< trug, das hatte Erwin ihm jedenfalls gesagt, »Kunststoff heißt die, glaube ich«, hatte er gesagt, »hab ich mir nicht ausgedacht, das ist typisch Almut«, hatte er gesagt, und was die genaue Lage der Galerie betraf, waren seine Angaben reichlich schwammig gewesen, »eher zum Zickenplatz hin«, hatte er gesagt, »in der Dieffenbachstraße, aber eher zum Zickenplatz hin, glaube ich«, aber einen Zickenplatz hatte Frank auf dem Stadtplan, den er sich in einem Tabakgeschäft in der Reichenberger Straße zusammen mit einem Päckchen Tabak und einet Schachtel Streichhölzer gekauft hatte, nicht finden können, also ging er jetzt die Dieffen-bachstraße vom einen Ende zum anderen hinunter und hoffte dabei, nicht am falschen Ende der Straße angefangen zu haben, weil die schwarzen, spitzen Schuhe, die er sich ebenfalls von seinem Bruder ausgeliehen hatte - was er nicht gern getan hatte, weil es irgendwie eine unsichtbare Grenze überschritt, wie er fand, was aber nicht zu

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