Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
vermeiden gewesen war, weil seine eigenen braunen Wildlederschuhe mit dem Anzug absolut unmöglich ausgesehen hatten - weil diese schwarzen, spitzen Schuhe jedenfalls etwas zu klein waren und drückten, was Frank dann doch wunderte, denn das war das letzte, womit er gerechnet hätte, daß sein großer Bruder kleinere Füße hatte als er selbst, das muß neu sein, das war jedenfalls nicht immer so, dachte er, als er die Dieffenbachstraße hinunterging und dabei fror und sein Blick auf einen kleineren Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite fiel, über dem in roten, geschwungenen Neonbuchstaben stand: ,Galerie Plastik<. Das muß es sein, dachte er und überquerte die Straße.
Vor dem Laden angekommen, hielt er sich nicht groß damit auf, durch die Schaufensterscheibe in den Laden hineinzuschauen und Schwellenängste zu überwinden, dazu war es zu kalt, und wenn sie nicht wollen, daß man reingeht, können sie ja abschließen, dachte er und betrat den Laden. Irgendwo in dessen Hinterräumen dingdongte es, als er die Schwelle überschritt. Innen war es angenehm warm, und es standen allerlei kleine Objekte herum, manche auf Stelen mitten im Raum, andere auf kleinen Vorsprüngen an der Wand, und sie sahen alle aus, als wären sie aus dem bunten Knetmaterial gemacht worden, mit dem er als Kind eine Zeitlang gespielt und Tiere und Serviettenringe geformt hatte, die man danach im Backofen aushärten konnte. Das war damals der letzte Schrei gewesen und er versuchte, sich an den Namen dieser Knete zu erinnern, aber er kam nicht drauf. Er besah sich die Objekte genauer, denn wenn man schon mal da ist, dachte er, sollte man auch was davon haben, auch wenn man eher im Auftrag seiner Mutter unterwegs ist, fügte er in Gedanken hinzu, denn wenn er ehrlich war, mußte er zugeben, daß er nur wegen seiner Mutter und der Angst davor, daß sie am nächsten Tag Ergebnisse sehen wollte, nicht schon nach einigen hundert Metern umgedreht und wieder ins Bett gegangen war. Detektiv wider Willen, Detektiv im Auftrag der Mutter, dachte er mit bitterem Unterton und ging näher an eine der Stelen heran. Das Knetobjekt, denn das waren die Sachen für ihn, Knetobjekte, irgendwie muß man das ja benennen, dachte er, war ein kleiner, roter Hase auf einem schwarzen Sockel, beides zusammen war nicht höher als etwa zehn Zentimeter. »Hase #17« stand dran, aber kein Preis. Die anderen Knetobjekte waren auch alles Hasen, und sie waren alle rot.
Er hörte hinter sich Schritte und drehte sich um. Es war Almut, die Frau, die er in der Nacht zuvor schon im Pyjama gesehen hatte. Sie war älter als er, Frank schätzte sie auf etwa dreißig, und obwohl sie auch kleiner war als er, schien es ihm, als ob sie auf ihn herabsah.
»Kann ich helfen?« sagte sie.
»Ist das aus Fimo?« fragte Frank, weil ihm gerade in diesem Moment der Name der Knetmasse von damals wieder eingefallen war.
»Ja«, sagte Almut. »Die Künstlerin macht alles mit Fimo. Kennen wir uns nicht irgendwoher?«
»Nein«, sagte Frank, »nicht daß ich wüßte. Aber ich bin der Bruder von Manfred Lehmann, vielleicht ist da ja eine Ähnlichkeit.«
Almut sah ihn prüfend an. »Naja, ein bißchen vielleicht. Den Mantel habe ich schon mal gesehen, glaube ich!«
»Kann gut sein, der ist ja auch von Freddie«, sagte Frank.
“Jaja, Freddie«, sagte sie. »Wie geht’s dem denn so?«
»Keine Ahnung«, sagte Frank, »darum bin ich hier.«
»Aha«, sagte sie.
Sie standen ziemlich eng beieinander, zu eng, wie Frank fand, aber er sah nicht ein, warum gerade er deswegen zurückweichen sollte, ich habe hier schon gestanden, als sie noch ganz woanders war, dachte er, es ist ihre Schuld, daß wir so eng beieinander stehen, wenn man hier überhaupt von Schuld sprechen will, dachte er, es ist zwar ungewöhnlich, so nah zusammenzustehen, aber kein Verbrechen, dachte er, soll sie doch zurückweichen, wenn es ihr nicht paßt, dachte er. Er konnte ihr Parfüm riechen und war nun doch froh, seine alten Klamotten nicht mehr anzuhaben.
»Wieso?« sagte sie.
»Wieso was?«
»Wieso bist du deswegen hier?«
»Ich bin gestern hier angekommen, und Freddie ist nicht da, und es weiß auch keiner, wo er sein könnte«, sagte Frank. »Da dachte ich, ich frage hier mal nach, ob du vielleicht was weißt, die haben mir gesagt, daß du bis vor kurzem hier seine Sachen ausgestellt hast.«
»Duzen wir uns?« fragte sie halb streng, halb belustigt und trat einen Schritt zurück, wie um ihn besser ansehen zu
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