Der kleine Fluechtling
bairische Mundart betraf, hatte er großartige Erfolge zu verzeichnen, selbst der Tonfall hörte sich manchmal schon richtig bodenständig an. Doch Ulrich wusste, dass er das Bairische niemals zu solcher Perfektion bringen würde wie Sabe.
»Drieber gibt’s keen Zweefel … äh, da gibt’s kein Radi«, murmelte er jetzt, lachte leise und fügte hinzu: »Ein Lausebengel, der Sabe.« Daraufhin lachte er laut, weil ihm einfiel, wie Sabe zu seinem Spitznamen gekommen war.
Der Zufall hatte die Hafenbande eines Nachmittags auf dem gepflasterten Platz vor der Brauerei Keisling zusammengewürfelt. Gerhard, der Chef, überdachte soeben Ulrichs Vorschlag, Kaninchenkäfige aus Haselruten herzustellen und zum Kauf anzubieten, da rief Walter: »Schauts nur grad hie, wie der Paul sabelt!«
Pauls Laufstil war sprachlich kaum treffender zu charakterisieren, und die Bande johlte. Bis plötzlich ins kollektive Bewusstsein drang, weshalb jener Kumpel so flink die Straße hinuntersäbelte.
Kurz wurde es mäuschenstill. Dann stob die Bande auseinander.
Gerhard spritzte davon und suchte hinter einer mannshohen Bretterwand Deckung, dem einzigen Überbleibsel des einstigen Zuckerlagers, das im Sommer 1943 mitsamt einigen Zentnern Süßstoff und vielen Säcken Aromapulver einem Blitzschlag zum Opfer gefallen war, weswegen die Produktion des berühmten Keisling Kracherls für etliche Jahre eingestellt werden musste. Ulrich landete keine Sekunde später neben ihm. Die anderen verflüchtigten sich wer weiß wohin, nur Walter tauchte nach wenigen Augenblicken ebenfalls hinter der Bretterwand auf. Durch die Ritzen hindurch beobachteten sie Paul, der mit einer soeben requirierten Kanne Malzsirup vom Tatort – dem Brauhaus Keisling – die Straße hinunterflüchtete. Der Braumeister des Keisling-Betriebs folgte ihm dicht auf den Fersen.
An der ersten Biegung kehrte der eilig dahinsäbelnde Paul der Hauptstraße den Rücken und nahm den sandigen Weg, der geradeaus in den schlammigen Hof der Pferdemetzgerei Fenzl führte.
»So wie der sabelt«, prustete Gerhard verhalten, »könnt man meinen, er tät mit dem einen Haxen mähen und mit dem andern zammrechen.«
Ulrich nickte bloß. Für den befremdlichen Laufstil hatte er inzwischen keinen Blick mehr, denn durch ein hastig vergrößertes Astloch musste er mit ansehen, wie der Braumeister aufholte – unbestritten.
Sein flüchtender Freund säbelte soeben über einen Haufen Pferdeäpfel. Der Verfolger befand sich nur noch wenige Schritte hinter ihm.
»Stickel von Glicke«, bat Ulrich.
Der Pferdeapfelhaufen wurde dem Braumeister zum Verhängnis.
»Dusel ghabt«, grinste Gerhard, als der Braumeister dreckverkrustet zur Hauptstraße zurückhumpelte. Sabe (der Name war geboren und blieb Paul erhalten) und der Malzsirup waren längst über alle Berge.
Der Braumeister strebte fluchend dem Brauhaus zu. Miststängel hingen in seinem Schnauzer, gelbe Schlieren glänzten auf seiner Weste. Die Buben hinter der Bretterwand erstarrten zu Salzsäulen. Sie pressten sich die Hände auf Mund und Nasen, damit ja kein Laut entwische.
Der Bierbrauer schwenkte soeben in die Keisling-Zufahrt ein, da unterlief Walter der Patzer: Er stieß den Atem aus, und das hörte sich an, als würde ein Bulle schnauben. Gerhard drohte ihm lautlos mit der geballten Faust.
Der Braumeister verhielt den Schritt.
Walter glotzte erschreckt und verhaspelte sich prompt beim Einschnaufen, wodurch er zwei laute Schnarcher produzierte.
Der Braumeister starrte auf die windschiefen Latten der Bretterwand und lauschte. Ein paar entschlossene Schritte in diese Richtung, und er hätte anstelle des Diebes dessen drei Spießgesellen abführen können. Unschuldsbeteuerungen wären nutzlos gewesen. Mitgefangen, mitgehangen, hätte es ebenso generalisierend wie resolut geheißen, und besonders für Gerhard, den Neffen des Brauereibesitzers, hätte die Sache verteufelt peinlich werden können.
Gerettet wurden Ulrich, Gerhard und Walter durch eine tierisch-grausige Totenklage, die aus der Pferdeschlächterei Fenzl herüberklang. Der Braumeister wandte sich vom Bretterzaun ab, schüttelte sich, dass die Miststängel flogen, und steuerte endgültig auf das Brauhaus zu.
»Arschknapp is das gewesen – unbestritten«, murmelte Ulrich und opferte einen weiteren Streifen Stanniolpapier, um den Rumpf des Dampfers damit zu verkleiden. Wenigstens einen Steinwurf weit sollte der Kahn auf dem Mühlbach schwimmen, bevor er unterging.
Ulrich faltete
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