Der kleine Fluechtling
wurde, gab ihr jedoch strenge Worte mit auf den Weg: »Merk dir eines, mein Kind, so heftig der Gockel auch balzt, ranlassen darfst ihn erst, wenn er den Trauschein unterschrieben hat.«
Carmen nickte gehorsam, doch in diesem speziellen Fall genügte Minna das nicht. »Schwör’s mir«, verlangte sie. »Schwör mir, dass du deine Jungfräulichkeit mit Zähnen und Klauen verteidigst.«
Gefügig wie immer, tat Carmen, wie ihr von Minna geheißen, doch diesmal geriet sie beträchtlich in die Zwickmühle damit. Es erwies sich als schier unmöglich, Wolli einerseits auf Distanz und andererseits bei Laune zu halten.
Heut oder nie, sagte sich Wolli am Morgen eines heiteren Sonntags im Juli 1963. Wenn ich sie heut wieder nicht rumkriege, kann sie mir endgültig gestohlen bleiben.
Bei Carmen hatte er ohnehin schon außergewöhnlich viel Geduld aufgebracht – mehr als je bei einer Frau zuvor. Carmen hatte etwas, das ihn unwiderstehlich anzog. Deshalb wollte er noch eine letzte, absolute Anstrengung machen.
Ich muss ihr was bieten, was sie scharfmacht, überlegte er durchtrieben grinsend, dann komm ich zum Zug, was das anbelangt. Das Grinsen verging ihm, als ihm einfiel, was die Mädchen im Landkreis (und darüber hinaus) dieser Tage scharfmachte. Von Pfarrkirchen bis St. Engelmar, von Vilshofen bis Dingolfing hatte sich herumgesprochen, dass im Café Mitterwallner eine Band spielte, die die Damenwelt heißlaufen ließ.
Himmel, Arsch und Zwirn, knirschte Wolli. Er hätte das Pflaster dort lieber noch eine Weile gemieden (speziell das Tanzcafé – wo er ja ziemlich oft mit Renate gewesen war –, aber auch den ganzen verdammten Bezirk zwischen Deggendorf und Neuhausen). Er war schon nahe daran, den Plan zu verwerfen, sagte sich dann jedoch hochnäsig, dass ihm ja wohl schnurzegal sein könne, woran sich dieses Deggendorfer und Neuhausener Gesocks seine dummen Schnäbel wetzte.
In den vergangenen drei Jahren hatte er sich überwiegend von der Gegend ferngehalten. Denn seit auf dem Himmelberghof ein spitzmäuliges kleines Wesen aufwuchs, verhielten sich Nachbarn und Bekannte, insbesondere aber die Verwandtschaft – einschließlich Ziehvater Max – ziemlich kratzbürstig.
»Angepisst« nach Wollis jetzigem Sprachgebrauch.
Ein guter Grund, sich in Richtung Landkreis Straubing-Bogen zurückzuziehen, wo Wollis Bundeswehrstandort lag, der sich ohnehin als eine Heimat nach seinem Geschmack entpuppt hatte. Nach dem zügigen Aufstieg zum Feldwebel hegte Wolli seit einiger Zeit die Hoffnung, eines Tages den Unteroffizierslehrgang erfolgreich zu absolvieren.
Wenn das verflixte Bruchrechnen nicht gewesen wäre, hätte er reelle Chancen gehabt.
Am Nachmittag jenes heiteren Sonntags im Juli 1963 parkte Wolli vor dem Mehrfamilienhaus in Plattling, in dem Minna und Carmen wohnten, und hielt galant die Beifahrertür seines VW Käfer auf, als Carmen aus dem Haus trat. Minna stand oben am Fenster und winkte herunter. Er winkte zurück. Dann setzte er sich hinters Steuer und kurvte über die schmale Landstraße nach Deggendorf.
Während er zwei Runden um den Deggendorfer Stadtplatz drehte, um sich letztendlich für einen Parkplatz direkt vor dem Café zu entscheiden, malte er sich aus, wie ihm Carmen nach dem Tanztee zu Willen sein würde.
Hatte er nicht auch bei Renate für einen Nachmittag im Mitterwallner Zugeständnisse herausgeholt, die es ihm irgendwann ermöglichten, aufs Ganze zu gehen? Dabei hatte es damals noch nicht einmal diese Hafenband gegeben, die angeblich sämtliche Mädchen verrückt machte.
Wolli hatte vor, Carmen nach einem schmalzigen »Sag mir quando, sag mir wann« oder einem pappig-süßen »Wir wollen niemals auseinandergehn« in die Isarauen zu entführen. Dort, an einer Flussbiegung hinter dem Dörfchen Pielweichs, kannte er ein idyllisches Plätzchen mitten in einem Ring seufzender Pappeln. Unter diesen Pappeln hatte er vergangenen Sommer ein paar Schäferstündchen mit einer Schwesternschülerin vom Bezirkskrankenhaus Mainkhofen verbracht. Im Herbst hatte sie eine Stelle beim Klinikum Haar angenommen und war nach München gezogen. Wolli hatte seinem Schöpfer dafür gedankt, denn er war ihrer längst überdrüssig geworden. Inzwischen hatte er vergessen, wie sie hieß und wie sie aussah. Die Stelle unter den Pappeln jedoch hatte er sich gemerkt.
Wolli verwandelte das anzügliche Grinsen, das sich wieder um seine Schnauze ausbreiten wollte, in ein liebenswürdiges Lächeln und öffnete die Eingangstür
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