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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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zum Café Mitterwallner, ohne zu ahnen, dass jenes Plätzchen unter den Pappeln an diesem Sonntagabend nicht auf ihn zählen konnte.
    Der Juniorchef der Brauerei Keisling setzte gerade das Saxophon ab, als Carmen eintrat. Bei ihrem Anblick verpasste er prompt den nächsten Einsatz, was Bulli völlig aus dem Konzept brachte. Geistesgegenwärtig sprang Ulrich mit seiner Trompete ein und gab einige riskante Variationen zu der Textzeile »Weiße Rosen aus Athen, sagen dir, komm recht bald wieder« zum Besten. Weil Gerhard daraufhin immer noch wie vom Blitz getroffen dastand, schleifte Ulrich die letzten Klänge sechzehn Takte lang über die Tonleiter. Dann kündigte er atemlos eine längere Pause an.
    Inzwischen war sich Gerhard darüber klar geworden, dass er mit dieser umwerfenden Flammenhaarigen – Begleiter hin oder her – auf der Stelle anbandeln musste. Er trat auf sie zu und stellte sich vor.
    »Gerhard Schwarz, Juniorchef der Brauerei Keisling.«
    Keisling! Sogar im Café Krönner und im Café Isabell in Straubing stand KeiLimo auf der Getränkekarte. Keisling, das war ein Name, den man kannte; ein Name, der was hermachte.
    Minna hatte viel Zeit und Mühe darauf verwendet, Carmen zu konditionieren; jetzt sollte sich die Wirkung dessen zeigen.
    Carmen horchte auf, wandte Wolli den Rücken zu und ließ sich von Gerhard an den Tisch führen, der stets für die Band reserviert war.
    Wolli stand indessen verdattert bei der Eingangstür, bis ihm aufging, dass er soeben abserviert worden war. Da lief seine Schnauze dunkelrot an. Wie konnte ihn Carmen einfach stehen lassen und dem Saxophonspieler nachlaufen? Sie gehörte ihm. Er hatte eine Menge in sie investiert!
    Ulrich hockte auf der Kante des Podiums und schlürfte KeiLimo durch einen rosa Plastikstrohhalm (eine Aufmerksamkeit des Hauses für die Band). Nebenbei betrachtete er Wolli, der sich, seit er mit Carmen eingetreten war, nicht von der Stelle bewegt hatte. Einen Moment lang war Ulrich so, als käme ihm das Gesicht des Burschen bekannt vor.
    Unsinn, sagte er sich nach einer Weile, was einem an dem bekannt vorkommt, ist der Haarschnitt. Der Kerl muss ein Kommisskopf sein.
    Daraufhin veränderte Ulrich seine Position und schaute zu Gerhard und Carmen hinüber.
    »Von der ganzen Schmachterei beschlägt ja gleich das Panoramafenster«, gluckste er.
    »Wenn das Ratzengfries von Kommisskopf ein Hirn hätt«, drang Sabes Stimme von hinten an sein Ohr, »bloß ein bissl was von einem Hirn, dann könnt ihm das Hirn – was er halt net hat – sagn, dass er bei seiner Holden ausgschissen hat. Und außerdem könnt ihm das Hirn – was er eben net hat – noch ratn, dass er sich verzupfen sollt, und zwar mit Karacho.«
    Ulrich nickte. Ja, ein strategischer Rückzug seitens des Unterlegenen würde die Situation am elegantesten bereinigen. Aber der Kommisskopf schien vor Wut überzukochen.
    Ulrich dachte einen Moment über Intervention nach, gelangte jedoch zu dem Ergebnis: »Tät andererseits auch gar keen Erfolg bringen, wenn man den Gerhard weglotsen mecht von der goldgelben Kringelmaus.« Er hätte selbst nicht sagen können, weshalb ausgerechnet jetzt der schlesische Dialekt wieder in ihm hochkam.
    »Der Gerhard hat bombenfest anbissen«, stimmte Sabe zu.
    Ulrich nickte. »Und der Kommisskopf mecht gwisslich nicht kapituliern.«
    »Den machen mir platt«, kam es von Bulli.
    »Wär besser, der Gerhard käm zur Vernunft und tät den Feldzug auf später verlegen«, sagte Ulrich, das Schlesische vorerst wieder fallen lassend.
    Womöglich hätte Gerhard Schwarz sogar – von Wolli freundlich darauf hingewiesen – dessen ältere Rechte für den Moment anerkannt, wäre in Richtung Bühne abgezogen und hätte seine Leidenschaft ins Saxophon geblasen.
    Aber dummerweise schlug Wolli einen Kasernenhofton an: »Bursche, verschwinde, und zwar im Sturmschritt.«
    Gerhard wischte Wollis Gekläff mit der linken Hand weg, wie er eine umherschwebende Staubfluse weggewischt hätte, und versenkte seinen Blick noch tiefer in Carmens Augen.
    Ulrich seufzte und brachte die noch halb volle Flasche KeiLimo unter dem Bühnentreppchen in Sicherheit. »Mecht er unsern Gerhard gleich knuffen, der Kommiss-Stiefel.«
    Bullis grinsendes Gesicht erschien von links. »Solln wir ihn zerlegn?«
    Präventivkrieg?, fragte sich Ulrich.
    Doch dafür war es schon zu spät.
    Wolli trat gegen den Stuhl, auf dem Gerhard saß.
    Gerhard stieß, ohne sich umzusehen, seinen Ellbogen in die Richtung, aus der der

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