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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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Steinfußboden.
    Nach einiger Zeit schüttelte Anton den Kopf. »Hoffnungslos.«
    Sabe nickte. »Sackgasse.«
    Sie hockten bedrückt herum und ließen sich von Bulli peinigen.
    Gerhard flehte Gott um ein Wunder an. Anton flehte Bulli an, aufzuhören. Aber Bulli trommelte wie toll, bis Gerhard eine Runde Keisling-Bock ausgab.
    Als jedoch Ulrich am Pfingstsamstag nach Deggendorf kam und direkt vom Bahnhof zum Keisling-Keller eilte, konnte er im Brauereihof bereits hören, dass Bulli begriffen hatte, wozu ein Schlagzeug dient.
    »Er hat’s raus!«, brüllte Ulrich, während er die Tür zum Studio aufriss. Eins, einszwei, einszweidreivier, eins, einzwei, bumbumbumbum!
    »Ja, er hat’s«, röhrte Gerhard. »Jawoll, jawoll, ja; jawoll, ja, ja, ja.«
    Und nun spielte Bullis Panzernatur ihre Trümpfe voll aus. Er konnte einen einmal gefundenen Rhythmus tagelang beibehalten.
    »Wennst das jetz noch ab und zu ein bisserl ummodeln tätst«, sagte Ulrich, »dann könnt man dich einen Drummer nennen.«
    Der Taktwechsel ließ sich allerdings ohne Stolpern nicht bewerkstelligen. Da nahm Gerhard die Stolperstrecken ins Repertoire auf und taufte sie »Bullis Variationen«.
    Die Hafenband war jetzt komplett:
    Gerhard, der Bandleader, virtuos am Saxophon.
    Ulrich bravourös auf der Trompete.
    Anton, kein Duke Ellington, aber ganz passabel.
    Sabe, nicht übel, doch leider sehr undiszipliniert.
    Und Bulli, ebenso störrisch wie talentlos.
    Die Hafenband swingte und jazzte, und am Faschingsmontag 1963 stand sie zum ersten Mal auf der Bretterbühne des Café Mitterwallner. Für jeden Auftritt der Band gab es eine winzige Gage, die gerade ausreichte, zwei Drittel von Ulrichs Bahnfahrten und ein paar Unkosten zu decken.
    An jenem Frühlingssonntag 1964 jedoch, als Gerda Langmoser neben Dieter Schulze, genannt Didi, im Café Mitterwallner saß und Carmen anstarrte, schienen sich für die Gefährten der Hafenband recht attraktive Zukunftsbilder zu zeigen.
    Ulrich hatte seinen Ing.-grad.-Abschluss in der Tasche und die schriftliche Zusage des Diplom-Ingenieurs für einen Arbeitsplatz im Konstruktionsbüro der Deggendorfer Werft. Gerhard hatte eine Option auf die Keisling Brauerei und auf Carmen – die Frau, die ihn anhaltend betörte. (Das Ratzengfries hatte sich nirgendwo mehr blicken lassen.) Anton verdiente gutes Geld als Versicherungsmakler und hatte sich mit der Tochter seines Chefs verlobt. Sabe und Bulli verlegten tagsüber Heizungsrohre (mit mäßiger Begeisterung) und hockten abends im Weißbräu oder beim Schober (mit enormer Begeisterung).
    Zu den Auftritten der Hafenband im Café Mitterwallner reisten die Twens aus dem gesamten Bezirk an. Keine andere Musikgruppe sah sich derart umschwärmt wie die Schrottklauber vom alten Hafen. Ulrichs Enthusiasmus, Gerhards Können untermauert von seiner gesellschaftlichen Stellung und seinem guten Aussehen, Sabes Nonchalance, Bullis Unerschütterlichkeit und Antons geradezu liebenswürdige Interaktion mit den Klaviertasten hatten der Hafenband ein Image gegeben, das sie unwiderstehlich machte.
    Ihre Gage war entsprechend gestiegen.
    Die Sache mit dem Kommisskopf schien sich (entgegen Ulrichs Erwartung) nach dem ersten kurzen Zusammenstoß erledigt zu haben. Ulrich hatte noch eine Zeit lang Ausschau nach dem Kerl gehalten, der Gerhard in die Eier getreten hatte. Er traute dem von Carmen so kaltherzig Verschmähten jede Art von Tücke zu und fürchtete, er könnte die Hafenband eines Nachts mit einem ganzen Geschwader von Kommissbrüdern aus dem Hinterhalt anfallen. Bulli und Sabe hatten ihn ausgelacht, als er davon sprach, und im Laufe der Zeit gelangte auch Ulrich zu der Ansicht, dass der Kerl klein beigegeben hatte.
    Die Zukunft sah beinahe nach Beschaulichkeit aus. Natürlich kam es anders.

4
    »Was meinst denn, Kind«, sagte Anna Langmoser eines Sonntags im Sommer 1964 zu ihrer Tochter, »wär der Dieter nicht einer zum Heiraten für dich?«
    »Der Didi?«, fragte Gerda erstaunt.
    »Neulich hab ich die Frau Bekkler im Postamt troffen«, fuhr Anna fort, »und sie hat gsagt, dass das Modehaus Bekkler ohne das Gerda-Dieter-Gespann nur den halben Umsatz machen tät.«
    Frau Bekkler hätte das eigentlich nicht extra betonen müssen, denn jeder, der bei Bekkler einkaufte, konnte inzwischen ein Lied davon singen, wie Gerda und Didi zum Wohl ihres Arbeitgebers kooperierten.
    Der »Herrenausstatter Bekkler« war vergangenes Jahr in das »Modehaus Bekkler« umgewandelt geworden. Man hatte

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