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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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damit ihr armer alter Diddy auch alles hat?«
    Ich würde nichts essen, was sie auf ’n Tisch bringt, dachte Hely.
    »Die jungen Leute heute glauben alle, sie müssten alles haben«, antwortete Farish ungerührt. »Würde ihnen gut tun, wenn sie wie deine wären und nichts hätten.«
    »Als ich und meine Brüder und Schwestern hier raufkamen, hatten wir nicht mal ’n Eisschrank«, sagte Odum mit bebender Stimme. Er kam jetzt richtig in Fahrt. »Den ganzen Sommer über hab ich draußen auf den Feldern Baumwolle gepflückt...«
    »Ich hab auch meinen Teil Baumwolle gepflückt.«
    »... und meine Mama, sag ich euch, die hat auf den Feldern geschuftet wie ein Niggermann. Und ich, ich konnte nicht mal zur Schule gehen. Mama und Daddy brauchten mich zu Hause! Nein, wir haben nie was gehabt, aber wenn ich das Geld dazu hätte – da gäb’s nichts auf der Welt, was ich den Kleinen da drüben nicht kaufen würde. Ihr wisst schon, dass der olle Daddy es lieber ihnen geben als selber behalten würde. Hmm? Wisst ihr das nicht?«
    Sein haltloser Blick wanderte von Lasharon und dem Baby zu Hely. »Ich habe gefragt, ob ihr das nicht wisst«, wiederholte er in lauterem und weniger angenehmem Ton.
    Jetzt starrte er Hely ins Gesicht. Hely war entsetzt. Du meine Güte, dachte er, ist der alte Trottel so besoffen, dass er nicht mehr weiß, dass ich nicht sein Kind bin? Mit offenem Mund starrte er zurück.
    »Ja, Diddy«, wisperte Lasharon kaum hörbar.
    Odums rot geränderte Augen blickten sanfter und richteten sich unsicher auf seine Tochter; das feuchte, selbstmitleidige Beben seiner Lippen bereitete Hely größeres Unbehagen als alles andere an diesem Nachmittag.
    »Gehört? Habt ihr gehört, was das kleine Mädchen sagt? Komm her, und nimm deinen alten Diddy in die Arme.« Er wischte sich mit dem Handknöchel eine Träne weg.
    Lasharon rückte das Baby auf ihrer knochigen Hüfte höher und ging langsam zu ihm. Die besitzergreifende Art, mit der Odum sie umarmte, und der teilnahmslose Blick, mit dem sie es hinnahm – wie ein jämmerlicher alter Hund, der die Berührung seines Besitzers hinnimmt –, erweckte Helys Abscheu, machte ihm aber auch ein bisschen Angst.
    »Diese Kleine hier liebt ihren alten Diddy, nicht wahr?« Mit Tränen in den Augen drückte er sie an sein Hemd.
    An der Art, wie sie sich anschauten und die Augen verdrehten, sah Hely zu seiner Genugtuung, dass Catfish und Danny Ratliff von Odums Rührseligkeit genauso angewidert waren wie er.
    »Sie weiß, dass ihr Diddy ein armer Mann ist! Sie braucht keinen Haufen olles Spielzeug und Bonbons und feine Kleider!«
    »Wieso sollte sie auch?«, fragte Farish schroff.
    Odum, berauscht vom Klang der eigenen Stimme, drehte sich benebelt um und zog die Stirn kraus.
    »Yeah. Du hast ganz richtig gehört. Wieso sollte sie den ganzen Dreck haben? Wieso irgendeins von denen? Wir hatten auch nichts, als wir raufgekommen sind, oder?«
    Langsam breitete sich Erstaunen in Odums Gesicht aus und ließ es leuchten. »Nein, Bruder!«, rief er beglückt.
    »Haben wir uns geschämt, arm zu sein? Waren wir uns zum Arbeiten zu schade? Was gut genug für uns ist, ist auch gut genug für sie, richtig?«
    »Verdammt richtig!«
    »Wer sagt denn, dass Kinder glauben sollen, sie wären was Besseres als ihre Eltern? Die Bundesregierung, die sagt das! Wieso, glaubst du, steckt die Regierung ihre Nase in die Privathäuser der Leute und überschüttet sie mit Lebensmittelmarken und Impfungen und liberaler Erziehung? Ich sag dir, wieso. Das ist ’ne Gehirnwäsche für die Kids, damit sie glauben, sie müssten mehr haben als ihre Eltern, damit sie verachten, wo sie herkommen, und sich über ihr eigen Fleisch und Blut erheben. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber mein Daddy hat mir nie was umsonst gegeben.«
    Leises Beifallsgemurmel überall in der Pool Hall.
    »Nee«, sagte Odum und wackelte betrübt mit dem Kopf. »Mama und Diddy haben mir nichts geschenkt. Ich hab für alles arbeiten müssen. Für alles, was ich hab.«
    Farish deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf Lasharon und das Baby. »Dann sag mir eins. Warum sollte sie haben, was wir nicht hatten?«
    »Bei Gott, das ist wahr! Lass Diddy in Ruhe, Sugar«, sagte Odum zu seiner Tochter, die apathisch an seinem Hosenbein zupfte.
    »Diddy, bitte, wir gehen.«
    »Diddy will noch nicht gehen, Sugar.«
    »Aber Diddy, du hast gesagt, ich soll dich erinnern, dass der Chevrolet-Laden um sechs zumacht.«
    Mit ziemlich angestrengter

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