Der kleine Freund: Roman (German Edition)
sein gesundes Auge wie eine Schlagbohrmaschine auf ihn gerichtet hatte.
»Hely Hull«, sagte Hely, ohne nachzudenken, und dann schlug er sich entsetzt die Hand vor den Mund.
Farish gluckste trocken. »So ist es richtig, Kleiner.« Er drehte mit schraubenden Bewegungen ein blaues Stück Kreide auf der Spitze seines Queues, aber sein gesundes Auge blieb auf Hely gerichtet. »Nie was sagen, solange man dich nicht zwingt.«
»Ach, ich weiß, wer diese kleine Sackratte ist«, sagte Danny Ratliff zu seinem großen Bruder und deutete mit dem Kinn auf Hely. »Du heißt Hull, sagst du?«
»Ja, Sir«, sagte Hely kläglich.
Danny stieß ein schrilles, raues Lachen aus. »Ja, Sir. Hört euch das an. Komm mir nicht mit Sir, du kleiner...«
»Ist ganz in Ordnung, wenn der Junge Manieren hat«, unterbrach ihn Farish scharf. »Hull heißt du?«
»Ja, Sir.«
»Er ist’n Bruder von diesem Hull, der mit’m alten Cadillac-Cabrio durch die Gegend fährt«, sagte Danny zu Farish.
»Diddy«, sagte Lasharon Odum laut in die angespannte Stille. »Diddy, kann ich und Rusty die Comics angucken?«
Odum gab ihr einen Klaps auf den Hintern. »Lauf nur, Sugar. Hey«, sagte er dann betrunken zu Farish und stieß zur Betonung mit dem Queue auf den Boden, »wenn wir hier spielen wollen, lass uns spielen. Ich muss los.«
Aber Farish hatte nach einem letzten langen Blick auf Hely zu dessen großer Erleichterung längst angefangen, die Bälle aufzulegen.
Hely konzentrierte sich mit jeder Faser auf das Comic-Heft. Die Buchstaben hüpften leicht im Takt seines Herzschlags. Nicht aufblicken, warnte er sich. Nicht mal für eine Sekunde. Seine Hände zitterten, und sein Gesicht brannte so rot, dass er das Gefühl hatte, jeder im Raum müsse darauf aufmerksam werden wie auf ein offenes Feuer.
Farish spielte das Break, und es krachte so laut, dass Hely zusammenzuckte. Ein Ball polterte in eine Tasche, vier oder fünf lange, rollende Sekunden später gefolgt von einem zweiten.
Die Männer vom Krabbenboot schwiegen. Einer rauchte eine Zigarre, und von dem Gestank bekam Hely Kopfschmerzen, aber auch von der grellbunten Druckfarbe, die vor seinen Augen über die Lettern flirrte.
Lange war es still. Klunk. Wieder Stille. Sehr, sehr leise begann Hely, sich zur Tür zu schleichen.
Klunk, klunk. Die Stille vibrierte vor Anspannung.
»Mann!«, schrie jemand. »Du hast gesagt, der Drecksack sieht nichts!«
Tumult. Hely war an der Kasse vorbei und fast zur Tür hinaus, als eine Hand vorschoss und ihn hinten am Hemd packte, und unversehens blinzelte er in das Bullengesicht des glatzköpfigen Kassierers. Mit Entsetzen wurde ihm klar, dass
er immer noch den Comic von vorhin umklammert hielt, ohne dafür bezahlt zu haben. In panischer Hast wühlte er in der Tasche seiner Shorts. Aber der Kassierer interessierte sich überhaupt nicht für ihn, er schaute ihn nicht einmal an, auch wenn er ihn weiter am Hemd festhielt. Er hatte nur Augen für das, was am Pooltisch vor sich ging.
Hely warf einen Vierteldollar und einen Zehner auf die Theke, und sowie der Kerl sein Hemd losließ, schoss er zur Tür hinaus. Nach der Dunkelheit in der Billardhalle tat die Nachmittagssonne seinen Augen weh. Auf dem Gehweg fing er an zu rennen, aber er war so geblendet, dass er kaum sehen konnte, wohin er lief.
Auf dem Platz waren so spät am Nachmittag keine Fußgänger und nur wenige geparkte Autos. Fahrrad, wo war das Fahrrad? Er rannte an der Post vorbei, vorbei am Freimaurertempel, und er war halb die Main Street hinuntergerannt, als ihm einfiel, dass er in die falsche Richtung lief, weil er das Fahrrad im Durchgang hinter der City Hall hatte stehen lassen.
Er machte kehrt und rannte keuchend zurück. Im Durchgang war es düster und glitschig von Moos. Einmal, als Hely noch kleiner war, war er dort hineingeschlüpft, ohne darauf zu achten, wo er lief, und er war der Länge nach über die schattenhafte Gestalt eines Tramps gestolpert (ein übel riechender Haufen Lumpen), der über die halbe Länge des Durchgangs ausgestreckt lag. Als Hely über ihn hinschlug, sprang er fluchend auf und packte Hely beim Knöchel. Hely hatte geschrien, als habe man ihn mit kochendem Benzin übergossen, und in seinem qualvollen Drang zu entkommen, hatte er einen Schuh verloren.
Aber jetzt hatte Hely solche Angst, dass es ihm egal war, auf wen er hier trat. Er stürmte in den Durchgang, schlitterte über den moosglatten Zementboden und raffte sein Fahrrad auf. Es war nicht genug Platz, um
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