Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Allergien... Bitte sag mir doch, was du hast, Schatz. Ist dir nicht gut?«
»Ich mache auch keine Mühe.«
»Liebling. Oh, Liebling. Du machst mir niemals Mühe, und Allison auch nicht. Aber ...«
»Warum wollt du und Libby und Adelaide mich nie über Nacht bei euch haben?«
Tat war fassungslos. »Aber Harriet.« Sie knipste die Leselampe an. »Du weißt, dass das nicht wahr ist.«
»Ihr fragt mich nie!«
»Pass auf, Harriet. Ich hole den Kalender, und wir suchen
uns einen Tag in der nächsten Woche aus. Bis dahin geht es mir wieder besser und ...«
Sie sprach nicht weiter. Das Kind weinte.
»Jetzt schau doch«, sagte sie mit munterer Stimme. Tat bemühte sich zwar, interessiert auszusehen, wenn ihre Freundinnen von ihren Enkelkindern schwärmten, aber sie bedauerte nicht, dass sie selbst keine hatte. Sie fand Kinder langweilig und lästig – eine Tatsache, die sie vor ihren kleinen Nichten tapfer zu verbergen suchte. »Ich hole dir einen Waschlappen. Es wird dir besser gehen, wenn du... Nein, komm lieber mit. Harriet, steh auf.«
Sie nahm Harriets schmutzige Hand und führte sie durch den dunklen Flur zum Badezimmer. Am Waschbecken drehte sie beide Hähne auf und gab Harriet ein Stück rosa Toilettenseife. »Hier, mein Schatz. Wasch dir das Gesicht und die Hände... die Hände zuerst. Und jetzt spritz dir ein bisschen von diesem kühlen Wasser ins Gesicht, dann geht es dir gleich besser...«
Sie hielt einen Waschlappen unter den Hahn, betupfte geschäftig Harriets Wangen damit und reichte ihn ihr anschließend. »So, Liebling. Jetzt nimmst du diesen schönen kühlen Waschlappen und wäschst dich damit, am Hals und unter den Armen, ja?«
Harriet gehorchte; mechanisch strich sie sich einmal über die Kehle und fuhr dann mit dem Waschlappen unter ihr Hemd, um zweimal matt hin- und herzuwischen.
»Also wirklich. Ich weiß, dass du das besser kannst. Sorgt denn Ida nicht dafür, dass du dich wäschst?«
»Doch, Ma’am«, sagte Harriet mutlos.
»Warum bist du dann so schmutzig? Achtet sie nicht darauf, dass du jeden Tag in die Badewanne gehst?«
»Doch, Ma’am.«
»Und sorgt sie nicht dafür, dass du den Kopf unter den Wasserhahn hältst, und sieht sie nicht nach, ob die Seife auch nass ist, wenn du herauskommst? Es nützt ja nichts, Harriet, wenn du ins heiße Wasser steigst und einfach nur dasitzt. Ida Rhew weiß ganz genau, was sie dir sagen muss ...
»Es ist nicht Idas Schuld! Wieso gibt jeder immer nur Ida die Schuld an allem?«
»Niemand gibt ihr Schuld. Ich weiß ja, dass du Ida liebst, mein Schatz, aber ich glaube, deine Großmutter sollte vielleicht mal ein Wörtchen mit ihr reden. Ida hat ja nichts Unrechtes getan; es ist nur so, dass Farbige eine andere Vorstellung von – oh, Harriet. Bitte.« Tatty rang die Hände. »Nein. Bitte fang jetzt nicht wieder an.«
Eugene folgte Loyal nach dem Essen einigermaßen beklommen nach draußen. Loyal sah aus, als sei er im Frieden mit der Welt, bereit zu einem gemächlichen Verdauungsspaziergang, aber Eugene (der sich nach dem Essen seinen unbequemen schwarzen Predigeranzug angezogen hatte) war am ganzen Körper klamm vor Bangigkeit. Er warf einen Blick in den Außenspiegel von Loyals Truck und fuhr sich rasch mit dem Kamm durch die fettig graue Entenschwanzfrisur. Die Erweckungsandacht am Abend zuvor (irgendwo draußen auf einer Farm am anderen Ende des County) war kein Erfolg gewesen. Die Neugierigen, die bei ihrem Zelt aufgetaucht waren, hatten gefeixt und mit Kronkorken und Kieselsteinen geworfen, sie hatten den Kollektenteller ignoriert und sich verdrückt, ehe die Andacht zu Ende gewesen war. Und wer konnte es ihnen verdenken? Der junge Reese – Augen wie blaue Gasflammen, die Haare nach hinten geweht, als habe er soeben einen Engel erblickt – hatte vielleicht im kleinen Finger mehr Glauben als die ganze kichernde Bande zusammen, aber keine einzige Schlange war aus der Kiste gekommen, nicht eine, und so verlegen Eugene darüber auch gewesen war, er hatte doch keine Lust gehabt, sie mit eigener Hand herauszuholen. Loyal hatte ihm versichert, dass man sie heute Abend in Boiling Spring freundlicher empfangen würde, aber was kümmerte Eugene Boiling Spring? Klar, es gab da drüben eine solide Gemeinde von Gläubigen, und die gehörte jemand anderem. Übermorgen wollten sie versuchen, auf dem Platz in der Stadt ein Publikum zusammenzutrommeln, nur wie um alles in der Welt
wollten sie das anstellen, wenn ihr größter Publikumsmagnet, die
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