Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Eugene sehr plötzlich ein. »Es hilft überhaupt nicht, wenn Leute mit Stöcken an den Schlangen herumstochern und sie mit Zigarettenrauch anblasen und sie stören und ärgern...«
»Moment mal ...«
»Farsh, ich hab gesehen, wie du draußen auf dem Laster mit ihnen rumgespielt hast.«
»Farsh«, wiederholte Farish mit hoher, höhnischer Stimme. Eugene sprach manche Worte komisch aus.
»Mach dich nicht lustig über mich.«
»Jungs«, sagte Gum matt. »Jungs.«
»Gum«, sagte Danny, und dann leiser noch einmal: »Gum«, denn seine Stimme hatte so laut und unvermittelt geklungen, dass alle am Tisch zusammengefahren waren.
»Ja, Danny?«
»Gum, was ich dich fragen wollte ...« Er stand so sehr unter Strom, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, was das, worüber alle hier redeten, mit dem zu tun hatte, was jetzt aus seinem Mund kam. »Haben sie dich als Geschworene bestimmt?«
Seine Großmutter faltete ein Stück Weißbrot zusammen und tauchte es in einen Klecks Maissirup. »Ja.«
»Was?«, fragte Eugene. »Wann fängt der Prozess denn an?«
»Mittwoch.«
»Und wie willst du hinkommen, wenn der Laster kaputt ist?«
»Als Geschworene?« Farish saß plötzlich kerzengerade. »Wieso sagt mir das keiner?«
»Die arme alte Gum wollte dich nicht belästigen, Farish ...
»Der Laster ist nicht richtig kaputt«, sagte Eugene. »Aber so, dass sie ihn nicht fahren kann. Ich selber kann das Lenkrad kaum drehen.«
»Als Geschworene?« Grob schob Farish seinen Stuhl zurück. »Und wieso ziehen sie da eine Invalide heran? Man sollte doch meinen, dass sie einen gesunden und kräftigen Mann finden könnten ...«
»Ich diene doch gern«, sagte Gum mit Märtyrerstimme.
»Ja, das weiß ich, ich sage bloß, sie könnten doch jemand anders finden. Du musst da den ganzen Tag rumsitzen auf diesen harten Stühlen, und bei deiner Arthritis ...«
»Na, um die Wahrheit zu sagen«, unterbrach Gum ihn im Flüsterton, »was mir Sorgen macht, ist diese Übelkeit von der anderen Medizin, die ich nehme.«
»Du hast ihnen hoffentlich gesagt, dass sie dich damit praktisch wieder ins Krankenhaus bringen. Eine arme, alte, verkrüppelte Lady aus dem Haus zu zerren ...«
Diplomatisch fiel Loyal ihm ins Wort. »Bitte, was ist es denn für ein Prozess, Ma’am?«
Gum wischte mit ihrem Brot im Sirup herum. »Nigger hat’n Traktor geklaut.«
»Dafür lassen sie dich den weiten Weg machen?«, fragte Farish. »Bloß wegen so was?«
»Tja, zu meiner Zeit«, sagte Gum friedlich, »da gab’s diesen ganzen Quatsch mit ’nem großen Prozess nicht.«
Als auf ihr Klopfen niemand antwortete, schob Harriet behutsam Tats Schlafzimmertür auf. Im Halbdunkel sah sie ihre alte Tante dösend auf der weißen Sommerdecke liegen. Sie hatte die Brille abgelegt, und ihr Mund stand offen.
»Tat?«, fragte Harriet unsicher. Im Zimmer roch es nach Medizin, Vetiver und Menthol und Staub. Ein Ventilator surrte in einschläfernden Halbkreisen hin und her und ließ die dünnen Gardinen nach links und nach rechts wehen.
Tat schlief weiter. Es war kühl und still im Zimmer. Silbern
gerahmte Fotos standen auf der Kommode: Richter Cleve und Harriets Urgroßmutter mit einer Kamee am Hals, vor der Jahrhundertwende. Harriets Mutter in den fünfziger Jahren als Debütantin mit Ellenbogenhandschuhen und aufwendiger Frisur. Ein großes, handkoloriertes Porträt von Tats Mann, Mr. Pink, als jungem Mann und ein sehr viel später aufgenommenes Hochglanz-Pressefoto von Mr. Pink, wie er einen Preis der Handelskammer entgegennahm. Auf dem schweren Frisiertisch standen Tats Sachen: Pond’s Cold Cream, ein Marmeladenglas mit Haarnadeln, Nadelkissen, Kamm und Bürste aus Bakelit und ein einzelner Lippenstift – eine einfache, bescheidene kleine Familie, säuberlich aufgestellt wie für ein Gruppenfoto.
Harriet war zum Weinen zumute. Sie warf sich auf das Bett.
Tat schrak jäh aus dem Schlaf. »Du Liebe Güte. Harriet?« Blind rappelte sie sich hoch und tastete nach ihrer Brille. »Was ist los? Wo ist dein kleiner Freund?«
»Er ist nach Hause gegangen. Tatty, hast du mich lieb?«
»Was ist denn? Wie spät ist es, Schatz?« Hilflos blinzelnd spähte sie zu ihrem Wecker hinüber. »Du weinst doch nicht, oder?« Sie beugte sich hinüber und legte Harriet die Hand auf die Stirn, aber sie war feucht und kühl. »Was um alles in der Welt ist denn los?«
»Kann ich hier übernachten?«
Tat war bestürzt. »Ach, Liebling. Die arme Tatty ist halb tot von ihren
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