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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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du wieder im Krankenhaus.«
    Stumm strich Danny sich das Haar aus der Stirn und nahm sich ein viereckiges Stück Maisbrot. Ihm war zu heiß, und er stand zu sehr unter Strom, um zu essen, und der unchristliche
Gestank aus dem Labor, vereint mit dem Geruch von ranzigem Fett und Zwiebeln, gab ihm das Gefühl, er werde nie wieder Hunger haben.
    »Ja«, sagte Gum und starrte wehmütig lächelnd auf die Tischdecke, »ich koche wirklich zu gern für euch.«
    Danny war ziemlich sicher, dass seine Großmutter nicht mal halb so gern für ihre Jungs kochte, wie sie behauptete. Sie war ein winziges, ausgemergeltes, lederbraunes Geschöpf, gebeugt vom dauernden Katzbuckeln und so hinfällig, dass sie eher aussah wie eine Hundertjährige und nicht so alt, wie sie in Wirklichkeit war, nämlich um die sechzig. Als Tochter eines cajun-französischen Vaters und einer reinblütigen Chickasaw-Indianerin in einer Taglöhnerhütte mit Lehmboden und ohne sanitäre Einrichtungen geboren (Entbehrungen, über die sie ihre Enkel täglich neu in Kenntnis setzte), war Gum als Dreizehnjährige mit einem Pelzjäger verheiratet worden, der fünfundzwanzig Jahre älter war als sie. Man konnte sich kaum vorstellen, wie sie damals ausgesehen hatte – in ihrer kargen Jugend hatte es kein Geld für Torheiten wie Kameras und Fotografen gegeben –, aber Dannys Vater (der Gum leidenschaftlich angebetet hatte, eher wie ein Freier denn wie ein Sohn) erinnerte sich zu Lebzeiten an sie als Mädchen mit roten Wangen und glänzend schwarzem Haar. Sie war bei seiner Geburt erst vierzehn gewesen, und sie war (hatte er erzählt) »das hübscheste kleine Coon-Ass-Mädel, das du je gesehen hast«. Coon-Ass hieß Waschbärarsch, und so nannte man die Cajuns, aber als Danny klein war, hatte er die unbestimmte Vorstellung gehabt, Gum habe tatsächlich etwas von einem Waschbären an sich. Mit ihren tief liegenden dunklen Augen, ihren schiefen Zähnen und den kleinen, dunklen, runzligen Händen war eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Tier nicht zu leugnen.
    Denn Gum war winzig. Und sie schien jedes Jahr weiter zu schrumpfen. Inzwischen war sie kaum mehr als ein hohlwangiges Stückchen Schlacke, schmallippig und verderblich. Wie sie ihren Enkeln regelmäßig in Erinnerung rief, hatte sie ihr Leben lang schwer gearbeitet, und diese schwere Arbeit (deren sie sich
nicht schämte – nicht sie) war es gewesen, was sie vor der Zeit verschlissen hatte.
    Curtis machte sich glücklich schmatzend über sein Abendessen her, während Farish weiter mit abrupt angebotenen Speisen und Handreichungen um Gum herumgluckte, die sie allesamt mit betrübter Leidensmiene zurückwies. Farish verfolgte seine Großmutter mit grimmiger Anhänglichkeit; ihre krüppelhafte und allgemein erbarmungswürdige Erscheinung rührte ihn unweigerlich, und sie ihrerseits umschmeichelte Farish auf die gleiche sanfte, demütige, unterwürfige Art, wie sie ihren toten Sohn umschmeichelt hatte. Und wie ihre Schmeichelei vor allem den schlimmsten Seiten an Dannys Vater Vorschub geleistet (sein Selbstmitleid gehätschelt, seinen Jähzorn befeuert, seinen Stolz und vor allem seine gewalttätige Ader genährt) hatte, beflügelte auch etwas in der Art, wie sie vor Farish buckelte, seine brutale Seite.
    »Farish, ich kann so viel nicht essen«, murmelte sie (der Tatsache zum Trotz, dass der Augenblick vorbei war und alle ihre Enkel inzwischen eigene Teller vor sich stehen hatten). »Diesen Teller gib Bruder Eugene.«
    Danny verdrehte die Augen und stieß sich ein Stück weit vom Tisch ab. Seine Geduld war unter Speed schon ziemlich strapaziert, und alles am Benehmen seiner Großmutter (ihre matten Abwehrgebärden, ihr Leidenston) war reine Berechnung, präzise wie nach der Multiplikationstabelle, um Farish dazu anzustacheln, dass er herumfuhr und sich auf Eugene stürzte.
    Und so kam es natürlich auch. »Dem?« Farish starrte wütend zum Ende des Tisches, wo Eugene mit hochgezogenen Schultern sein Essen heinunterschlang. Eugenes Appetit war ein wunder Punkt, ein Quell unerbittlicher Zwistigkeiten, denn er aß mehr als sonst jemand im Haushalt und trug wenig zu den Kosten bei.
    Curtis streckte mit vollen Backen eine fettige Pfote nach dem Stück Hühnchen aus, das seine Großmutter ihm mit zitternder Hand über den Tisch reichte. Schnell wie der Blitz schlug Farish seine Hand herunter; es gab ein hässliches Klatsehen,
und Curtis’ Unterkiefer klappte herunter. Ein paar halb zerkaute Klumpen fielen aus seinem

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