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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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die Hand entgegen. »Roy Dial, Dial Chevrolet.«
    »Das ist... das ist Loyal Reese«, sagte der ältere Mann mit sichtlichem Unbehagen und befingerte dabei den Rand des roten Mals auf seiner Wange.
    »Reese?« Mr. Dial musterte den jungen Mann freundlich. »Nicht von hier, oder?«
    Der junge Mann stammelte irgendetwas; zwar konnte Harriet
nicht verstehen, was er sagte, aber sein Akzent war unverwechselbar: Hill Country, eine hohe Stimme, nasal und hell.
    »Ah! Schön, Sie bei uns zu haben, Loyal... Nur zu Besuch, ja? Denn«, Mr. Dial hob die Hand, um allen Protesten zuvorzukommen, »es gibt da die Bedingungen des Mietvertrages. Nur eine Person. Kann doch nicht schaden, wenn wir dafür sorgen, dass wir einander verstehen, oder, Gene?« Mr. Dial verschränkte die Arme, ganz so, wie er es bei Harriet in der Sonntagsschule auch tat. »Übrigens, wie gefällt Ihnen die neue Fliegentür, die ich für Sie hab einbauen lassen?«
    Eugene brachte ein Lächeln zustande. »Prima, Mr. Dial. Sie funktioniert besser als die andere.« Mit der Narbe und seinem Lächeln sah er aus wie ein gutmütiger Gihul aus einem Horrorfilm.
    »Und der Wasserboiler?« Mr. Dial verschraubte die Hände ineinander. »Mit dem geht’s doch wohl viel schneller, das weiß ich. Badewasser heiß machen und so weiter. Haben jetzt mehr kochendes Wasser, als Sie brauchen können, was? Ha ha ha.«
    »Naja, Sir, Mr. Dial ...«
    »Eugene, wenn Sie gestatten, will ich jetzt zur Sache kommen«, sagte Mr. Dial und legte behaglich den Kopf zur Seite. »Es ist ja in Ihrem Interesse ebenso wie in meinem, dass wir die Kommunikationskanäle offen halten, meinen Sie nicht auch?«
    Eugene machte ein verwirrtes Gesicht.
    »Also, die letzten beiden Male, als ich vorbeikam, um mit Ihnen zu sprechen, haben Sie mir den Zutritt zum vermieteten Objekt verweigert. Jetzt helfen Sie mir auf die Sprünge, Eugene...« Mit erhobener Hand blockierte er kundig jede Unterbrechung. »Was geht hier vor? Wie können wir die Situation verbessern?«
    »Mr. Dial, ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.«
    »Ich muss Sie sicher nicht daran erinnern, Eugene, dass ich als Ihr Vermieter das Recht habe, das Objekt zu betreten, wann ich es für richtig halte. Wir wollen einander doch entgegenkommen, ja?« Er bewegte sich die Treppe hinauf. Der junge
Loyal Reese, der jetzt noch erschrockener aussah, ging unauffällig rückwärts die Stufen zum Apartment hinauf.
    »Ich verstehe das Problem nicht, Mr. Dial! Wenn ich was falsch gemacht hab ...«
    »Eugene, ich will Ihnen offen sagen, was mich beunruhigt. Ich habe Beschwerden über einen gewissen Geruch erhalten. Als ich neulich hier war, habe ich ihn auch bemerkt.«
    »Wenn Sie einen Moment hereinkommen wollen, Mr. Dial ...?«
    »Das würde ich allerdings gern tun, Eugene, wenn Sie nichts dagegen haben. Denn, wissen Sie, es ist ja so, dass ich eine gewisse Verantwortung gegenüber allen Mietern eines Objektes habe.«
    »Hat!«
    Harriet schrak zusammen. Curtis wiegte sich hin und her und winkte ihr mit geschlossenen Augen zu.
    »Blind«, rief er.
    Mr. Dial wandte sich halb um. »Na, hallo, Curtis! Aber Vorsicht da«, sagte er gut gelaunt und trat mit dem Ausdruck leisen Abscheus beiseite.
    Daraufhin schwenkte Curtis mit einem ausladenden Paradeschritt herum und stapfte quer über die Straße auf Harriet zu, die Arme gerade vor sich ausgestreckt und mit baumelnden Händen wie Frankenstein.
    »Monster«, gurgelte er. »Uuuu, Monster.«
    Harriet wäre am liebsten im Erdboden versunken. Aber Mr. Dial hatte sie nicht gesehen. Er wandte sich um, wobei er immer weiterredete (»Nein, warten Sie, Eugene, Sie müssen da wirklich auch meinen Standpunkt verstehen«), und stieg mit großer Entschlossenheit die Treppe hinauf, während die beiden Männer nervös vor ihm zurückwichen.
    Curtis blieb vor Harriet stehen. Bevor sie etwas sagen konnte, klappte er die Augen auf. »Schuhe zubinden«, verlangte er.
    »Sie sind zugebunden, Curtis.« Dies war ein eingefahrener Dialog zwischen ihnen. Weil Curtis sich die Schuhe nicht zubinden konnte, bat er dauernd andere Kinder auf dem Schulhof, ihm zu helfen. Inzwischen war es seine Art, ein Gespräch
anzufangen, ob seine Schuhe nun zugebunden werden mussten oder nicht.
    Ohne Vorwarnung ließ Curtis einen Arm vorschießen und packte Harriet beim Handgelenk. »Hab dich«, blubberte er glücklich.
    Ehe sie sich versah, schleppte er sie entschlossen über die Straße. »Halt«, sagte sie erbost und wollte sich losreißen,

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