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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Hely. »Komm, ruf ihn an.«
    »Und was soll ich sagen?«
    »Dann ruf Edie an. Wenn sie so viel über Mormonen weiß.«
    Plötzlich begriff Harriet, warum er so erpicht darauf war zu telefonieren: Es war das neue Telefon auf dem Nachttisch, das einen Hörer mit Tasten hatte, der aussah wie ein Saints-Footballhelm.
    »Wenn sie glauben, dass sie auf ihrem privaten Planeten wohnen dürfen und das alles«, sagte Hely und deutete mit dem Kopf auf das Telefon, »wer weiß, was die sonst noch alles glauben?
Vielleicht haben die Schlangen was mit ihrer Kirche zu tun.«
    Weil Hely immer wieder auf das Telefon schaute, und weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, zog Harriet das Telefon zu sich herüber und drückte Edies Nummer.
    »Hallo?«, sagte Edie in scharfem Ton, als es zweimal geklingelt hatte.
    »Edie«, sagte Harriet in den Footballhelm, »glauben die Mormonen irgendwas über Schlangen?«
    »Harriet?«
    »Zum Beispiel, halten sie Schlangen als Haustiere oder... ich weiß nicht, haben sie massenhaft Schlangen und so Zeug im Haus?«
    »Woher um alles in der Welt hast du so eine Idee, Harriet?«
    Nach einer unbehaglichen Pause sagte Harriet: »Aus dem Fernsehen.«
    »Aus dem Fernsehen?«, wiederholte Edie ungläubig. »Aus welcher Sendung?«
    »National Geographic.«
    »Ich wusste nicht, dass du Schlangen magst, Harriet. Ich dachte, du schreist immer Hilfe! Hilfe!, wenn du draußen im Garten eine kleine Ringelnatter siehst.«
    Harriet schwieg und ließ diese unwürdige Stichelei unkommentiert im Raum stehen.
    »Als Kinder haben wir immer Geschichten über Prediger gehört, die draußen im Wald mit Schlangen hantierten. Aber das waren keine Mormonen, sondern Hinterwäldler aus Tennessee. Übrigens, Harriet, hast du schon Eine Studie in Scharlachrot von Sir Arthur Conan Doyle gelesen? Also, da findest du sehr gute Informationen über den Mormonenglauben.«
    »Ja, ich weiß.« Edie hatte ihr schon nach dem Besuch der Mormonen davon erzählt.
    »Ich glaube, die alten Sherlock-Holmes-Bücher sind drüben bei deiner Tante Tat. Vielleicht hat sie sogar das Buch Mormon in der Sammelausgabe, die mein Vater hatte, weißt du, mit Konfuzius und dem Koran und den religiösen Schriften der ...«
    »Ja, aber wo kann ich was über diese Schlangenleute lesen?«
    »Entschuldige, aber ich kann dich nicht hören. Was ist das für ein Echo? Von wo rufst du an?«
    »Ich bin bei Hely.«
    »Es klingt, als wärest du auf der Toilette.«
    »Nein, dieses Telefon hat nur ’ne komische Form... Hör mal, Edie«, sagte sie, denn Hely wedelte mit den Armen hin und her und versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, »was ist mit diesen Schlangenleuten? Wo gibt es sie?«
    »Im Hinterwald, in den Bergen, in den trostlosen Gegenden der Erde – mehr weiß ich nicht«, sagte sie vornehm.
    Harriet hatte kaum aufgelegt, als Hely hervorsprudelte: »Weißt du, früher war da oben in dem Haus eine Trophäenausstellung, fällt mir gerade ein. Ich glaube, die Mormonen wohnen bloß unten.«
    »Und wer wohnt jetzt oben?«
    Hely stieß aufgeregt mit dem Finger auf das Telefon, aber Harriet schüttelte den Kopf, denn sie hatte nicht vor, Edie noch einmal anzurufen.
    »Was ist mit dem Truck? Hast du die Nummer?«
    »Du liebe Güte«, sagte Harriet. »Nein.« Daran hatte sie noch nicht gedacht, dass die Mormonen nicht Auto fuhren.
    »Hast du wenigstens gesehen, ob er aus Alexandria County war oder nicht? Denk nach, Harriet, denk nach!«, sagte er melodramatisch. »Du musst dich erinnern!«
    »Warum fahren wir nicht einfach rüber und sehen nach? Denn wenn wir jetzt losgehen – hör schon auf damit!« Gereizt drehte sie den Kopf zur Seite, als Hely anfing, eine imaginäre Taschenuhr wie ein Hypnotiseur vor ihrem Gesicht hin- und herpendeln zu lassen.
    »Du wirst sähr, sähr müüde«, sagte Hely mit starkem transsylvanischem Akzent. »Sähr ... sähr ...«
    Harriet stieß ihn von sich, aber er ging nur auf die andere Seite und wackelte mit den Fingern vor ihrem Gesicht. »Sähr... sähr...«
    Harriet wandte sich ab, aber er hörte nicht auf, und schließlich gab sie ihm mit aller Kraft einen Schubs.
    »Herrgott!«, schrie Hely. Er hielt sich den Arm und kippte rücklings auf das Bett.
    »Ich hab gesagt, du sollst aufhören.«
    »Herrgott, Harriet!« Er setzte sich auf, rieb sich den Arm und zog Grimassen. »Du hast meinen Musikantenknochen getroffen!«
    »Dann geh mir nicht auf die Nerven!«
    Plötzlich erhob sich ein wildes Faustgehämmer an der

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