Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
anfängt...«
    »Deshalb habe ich diese gute heiße Schokolade eingepackt! Eine Tasse heiße Schokolade wird Adelaide kein bisschen schaden!«
    »Mir ist es gleich, was ich trinke. Heiße Schokolade klingt schrecklich gut! Denkt doch bloß«, Libby klatschte in die Hände und drehte sich zu Harriet um, »nächste Woche um diese Zeit sind wir in South Carolina! Ich bin so aufgeregt!«
    »Ja.« Tat strahlte. »Und es ist mächtig tüchtig von deiner Großmutter, dass sie uns alle hinfährt.«
    »Ob das tüchtig ist, weiß ich nicht, aber ich nehme an, dass ich uns alle unversehrt hin – und zurückbringen kann.«
    »Libby, Ida Rhew hat gekündigt«, sprudelte Harriet kläglich hervor. »Sie zieht weg...«
    »Gekündigt?«, fragte Libby, die ein bisschen schwerhörig war und jetzt einen beschwörenden Blick zu Edith hinüberwarf, die meistens lauter und deutlicher sprach als andere Leute. »Ich fürchte, du musst ein bisschen langsamer erzählen.«
    »Sie redet von Ida Rhew, die bei ihnen arbeitet«, sagte Edie und verschränkte die Arme. »Sie geht weg, und Harriet ist deshalb traurig. Ich habe ihr gesagt, dass die Dinge sich ändern und dass Menschen weiterziehen. So ist es eben in der Welt.«
    Libby machte ein bestürztes Gesicht. Mit unverhohlenem Mitgefühl schaute sie Harriet an.
    »Oh, das ist wirklich schade«, sagte Tat. »Du wirst Ida vermissen, das weiß ich, mein Herz, sie war ja lange bei euch.«
    »Ah«, sagte Libby, »aber das Kind liebt Ida! Du liebst Ida, nicht wahr, Schatz?«, sagte sie zu Harriet. »Genauso, wie ich Odean liebe.«
    Tat und Edie schauten sich an und verdrehten die Augen, und Edie sagte: »Du liebst Odean ein bisschen zu sehr, Lib.« Über Odeans Faulheit witzelten die Schwestern schon seit Jahren: Sie saß im Haus herum, angeblich bei schlechter Gesundheit, und Libby brachte ihr kalte Getränke und erledigte den Abwasch.
    »Aber Odean ist seit über fünfzig Jahren bei mir«, sagte Libby. »Sie ist meine Familie. Sie war schon draußen in ›Drangsal‹ bei mir, und sie ist nicht bei guter Gesundheit.«
    »Sie nutzt dich aus, Libby«, sagte Tat.
    »Liebling«, sagte Libby und war ganz rosig im Gesicht geworden, »ich muss dir sagen, dass Odean mich aus dem Haus getragen hat, als ich diese schwere Lungenentzündung hatte, damals auf dem Land draußen. Mich getragen! Auf dem Rücken! Den ganzen weiten Weg von ›Drangsal‹ hinüber nach Chippokes!«
    »Na, heute tut sie jedenfalls nicht mehr viel«, sagte Edie kurz und bündig.
    Libby schaute Harriet eine ganze Weile still an, und der Blick ihrer wässrigen alten Augen war fest und mitfühlend.
    »Es ist furchtbar, ein Kind zu sein«, sagte sie schlicht, »und anderen Leuten ausgeliefert.«
    »Warte, bis du erwachsen bist«, sagte Tatty aufmunternd und legte Harriet den Arm um die Schultern. »Dann hast du ein eigenes Haus, und Ida Rhew kann bei dir wohnen. Wie findest du das?«
    »Unsinn«, sagte Edie. »Sie wird bald drüber hinwegkommen. Haushälterinnen kommen, Haushälterinnen gehen...«
    »Ich werde niemals drüber hinwegkommen!«, kreischte Harriet, und alle erschraken.
    Bevor jemand etwas sagen konnte, schüttelte sie Tattys Arm ab, machte kehrt und rannte hinaus. Edie zog resigniert die Brauen hoch, als wolle sie sagen: Damit muss ich mich schon den ganzen Morgen abgeben.
    »Du meine Güte«, sagte Tat schließlich und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
    »Um die Wahrheit zu sagen«, bekannte Edie, »ich glaube, Charlotte begeht einen Fehler, aber ich hab’s satt, da drüben dauernd in den Fettnapf zu treten.«
    »Du hast Charlotte immer alles abgenommen, Edith.«
    »Das stimmt. Deshalb kann sie auch nichts allein tun. Ich finde, es wird höchste Zeit, dass sie mehr Verantwortung übernimmt.«
    »Aber was ist mit den Mädchen?«, fragte Libby. »Meinst du, die kommen damit zurecht?«
    »Libby, du hattest in ›Drangsal‹ den Haushalt zu führen und für Daddy und uns zu sorgen, als du kaum älter warst als sie jetzt.« Edie deutete mit dem Kopf in die Richtung, in die Harriet verschwunden war.
    »Das ist wahr. Aber diese Kinder sind anders, als wir waren, Edith. Sie sind empfindsamer.«
    »Schön, aber selbst wenn wir empfindsam gewesen wären – wir hatten keine andere Wahl.«
    »Was ist denn mit dem Kind los?« Adelaide – gepudert, mit Lippenstift und frisch onduliert – kam die Verandatreppe herauf. »Sie kam mir wie der Blitz auf der Straße entgegengerannt, unglaublich schmutzig, und sie hat nicht mal mit

Weitere Kostenlose Bücher