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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Postrunde was zu lesen«, sagte Hely. »Und wenn was passiert, sag ich’s dir.«
    »Nein, nicht. Schreib nichts auf. Nicht darüber.«
    »Ich werde nichts verraten!«
    »Ich weiß, dass du nichts verraten wirst«, sagte Harriet gereizt. »Du sollst einfach nicht darüber reden.«
    »Na, wenigstens nicht mit irgendjemandem.«
    »Mit niemandem. Du kannst nicht rumlaufen und es Leuten wie... wie... wie Greg DeLoach erzählen. Ganz im Ernst, Hely«, sagte sie über seinen Einwand hinweg. »Versprich mir, dass du ihm nichts erzählst.«
    »Greg wohnt weit draußen in Hickory Circle. Ich sehe ihn nur in der Schule. Und außerdem – Greg würde uns nicht verraten, das weiß ich genau.«
    »Erzähl’s ihm trotzdem nicht. Denn wenn du es auch nur einem einzigen Menschen erzählst...«
    »Ich wünschte, ich könnte mit dir fahren. Ich wünschte, ich könnte irgendwohin fahren«, sagte Hely kläglich. »Ich hab Angst. Ich glaube, vielleicht war es Curtis’ Grandma, auf die wir die Schlange geschmissen haben.«
    »Hör mir zu. Ich möchte, dass du es mir versprichst. Erzähl es niemandem. Denn...«
    »Wenn sie Curtis’ Großmutter ist, dann ist sie’s auch von den andern. Von Danny und Farish und dem Prediger.« Zu Harriets Überraschung brach er in schrilles, hysterisches Gelächter aus. »Diese Typen werden mich umbringen .«
    »Ja«, sagte Harriet ernst. »Und deshalb darfst du es niemals irgendjemandem erzählen. Wenn du nichts erzählst, und wenn ich nichts erzähle ...«
    Sie spürte etwas, blickte auf und zu ihrem Schrecken sah sie Allison in der Wohnzimmertür stehen, nur ein paar Schritt weit entfernt.
    »Es ist blöd, dass du wegfährst.« Helys Stimme klang blechern. »Und ich glaub es einfach nicht, dass du in dieses verdammte beschissene Baptistencamp fährst.«
    Harriet wandte ihrer Schwester demonstrativ den Rücken zu und machte ein vieldeutiges Geräusch, um Hely zu verstehen zu geben, dass sie nicht frei sprechen konnte, aber Hely kapierte nicht.
    »Ich wünschte, ich könnte auch irgendwohin fahren. Wir sollten dieses Jahr eigentlich in den Smoky Mountains Urlaub machen, aber Dad sagt, er will nicht so viele Meilen auf dem Tacho haben. Sag mal, glaubst du, du kannst mir ein paar Vierteldollarstücke dalassen, damit ich dich anrufen kann, wenn es nötig ist?«
    »Ich hab kein Geld.« Typisch Hely: Er versuchte, Geld von ihr zu schnorren, obwohl er derjenige war, der Taschengeld bekam. Allison war verschwunden.
    »Mann, ich hoffe bloß, dass es nicht seine Großmutter war. Bitte, bitte, mach, dass es nicht seine Großmutter war.«
    »Ich muss jetzt Schluss machen.« Warum war das Licht so jämmerlich? Harriet hatte das Gefühl, als breche ihr das Herz. Im Spiegel gegenüber, auf dem trüben Abbild der Wand über ihr (rissiger Putz, dunkle Fotografien, tote Wandleuchter aus vergoldetem Holz), wirbelte eine schimmelige Wolke aus schwarzen Punkten.
    Noch immer hörte sie Helys rauen Atem am anderen Ende der Leitung. Nichts bei Hely zu Hause war jämmerlich – alles war fröhlich und neu, und immer lief der Fernseher –, aber sogar sein Atem klang verändert und tragisch, wenn er durch den Telefondraht in ihr Haus gelangte.
    »Meine Mom hat darum gebeten, dass Miss Ehrlichson meine Klassenlehrerin sein soll, wenn ich diesen Herbst in die Siebte komme«, sagte Hely. »Ich schätze, da werden wir uns nicht mehr so oft sehen, wenn die Schule wieder anfängt.«
    Harriet machte ein gleichgültiges Geräusch, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie bei diesem Verrat ein schmerzhafter Stich durchzuckte. Edies alte Freundin Mrs. Hackney (Spitzname: »die Hacke«) hatte Harriet in der siebten Klasse
unterrichtet, und sie würde es auch in der achten tun. Aber wenn Hely sich für Miss Ehrlichson entschieden hatte (jung und blond und neu an der Schule), dann würden Hely und Harriet unterschiedliche Arbeitsräume, unterschiedliche Lunchpausen, unterschiedliche Klassenzimmer haben, ja, alles würde anders sein.
    »Miss Ehrlichson ist cool. Meine Mom sagt, es kommt überhaupt nicht in Frage, dass sie noch einmal eins ihrer Kinder ein Jahr mit Mrs. Hackney durchmachen lässt. Bei ihr kann man die Buchbesprechung über jedes Buch machen, das einem gefällt, und – okay!«, antwortete Hely einer Stimme aus dem Off. Zu Harriet sagte er: »Essenszeit. Wir sprechen uns später.«
    Harriet saß da und hielt sich den schweren schwarzen Hörer ans Ohr, bis am anderen Ende das Freizeichen ertönte. Dann legte sie ihn mit

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