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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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seine raffinierte Frechheit, wie sie es noch wenige Minuten zuvor getan hätte, und ging entgegenkommend mit ihm hinaus, um sich die Ausstattung zeigen zu lassen: Ledersitze, Kassettendeck, Servolenkung (»Dieses gute Stück steht erst seit zwei Tagen auf dem Platz, und ich muss sagen, schon auf den ersten Blick hab ich mir gedacht: Das ist genau der richtige Wagen für Miss Edith!«). Es verschaffte ihr eine seltsame Genugtuung, ihm dabei zuzusehen, wie er ihr die elektrischen Fensterheber und alles andere vorführte, wenn man bedachte, dass erst vor kurzer Zeit gewisse Leute die Anmaßung besessen hatten anzudeuten, dass sie überhaupt nicht mehr Auto fahren sollte.
    Er redete und redete. Die Wirkung der Schmerztablette ließ allmählich nach. Edie hätte seinen Wortschwall gern abgekürzt, aber Mr. Dial nutzte seine Chance (denn er wusste vom Fahrer des Abschleppwagens, dass der Oldsmobile reif für den Schrottplatz war) und fing an, die einzelnen Vorteile dieses Kaufs aufzuzählen: fünfhundert Dollar Rabatt auf den Listenpreis  – und warum? Gespreizte Handflächen: »Nein, nicht aus Herzensgüte. No, Ma’am, Miss Edith. Ich sag Ihnen, warum. Weil ich ein guter Geschäftsmann bin, und weil Dial Chevrolet Sie als Kundin gewinnen möchte.« Während er im satten Sommerlicht dastand und ihr erläuterte, warum er auch noch die erweiterte Garantie weiter erweitern würde, hatte Edie plötzlich eine klare, hässliche, alptraumhafte Vision vom nahenden Alter. Schmerzende Gelenke, verschwommener Blick, ein ständiger Nachgeschmack von Aspirin im Hals. Abblätternde Farbe, undichtes Dach, tropfende Wasserhähne, Katzen, die auf den Teppich pinkelten, und ein Rasen, der nicht mehr gemäht wurde. Und Zeit: genug Zeit, um stundenlang vor der Tür zu stehen und irgendeinem x-beliebigen Betrüger oder
Winkeladvokaten oder »hilfsbereiten« Fremden zuzuhören, der auf dem Highway vorbeigedriftet war. Wie oft war sie nach »Drangsal« hinausgefahren und hatte ihren Vater schwatzend in der Einfahrt stehen sehen – mit irgendeinem Vertreter oder skrupellosen Unternehmer, mit einem grinsenden, baumbeschneidenden Zigeuner, der später behaupten würde, sein Angebot sei pro Ast, nicht pro Baum zu verstehen gewesen. Mit geselligen Judassen in Florsheim-Schuhen, die ihm Hefte mit nackten Mädchen und das eine oder andere Schlückchen Whiskey angeboten hatten, und außerdem noch alle möglichen Firmenbeteiligungen und unglaubliche Steuersparmodelle, Schürfrechte, gesicherte Grundstücke, so viele risikofreie Investitionsmöglichkeiten und »einmalige Chancen«, dass sie den armen Kerl schließlich um seinen kompletten Besitz erleichtert hatten, einschließlich seines Geburtshauses ...
    Mit einem zunehmend finsteren Gefühl der Hoffnungslosigkeit hörte Edie zu. Was hatte es für einen Sinn zu kämpfen? Sie war, genau wie ihr Vater, eine stoische alte Heidin; sie ging zwar zur Kirche, weil es ihre gesellschaftliche und bürgerliche Pflicht war, aber sie glaubte kein Wort von dem, was da gesprochen wurde. Ein stechender Schmerz fuhr bei jedem Atemzug durch ihre Rippen, und sie konnte nicht aufhören, an die Onyx-Diamant-Brosche zu denken, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte: Wie ein dummes altes Weib hatte sie sie in einen unverschlossenen Koffer gepackt, der jetzt im unverschlossenen Kofferraum eines Schrottwagens am anderen Ende der Stadt lag. Mein Leben Lang, dachte sie, bin ich beraubt worden. Alles, was ich je geliebt habe, hat man mir genommen.
    Und irgendwie war Mr. Dials gesellige Anwesenheit ein seltsamer Trost: sein gerötetes Gesicht, der reife Geruch seines Aftershaves und sein wieherndes Delphinlachen. Sein umständliches Getue, das in krassem Gegensatz zu der soliden Festigkeit seiner Brust unter dem gestärkten Oberhemd stand, war merkwürdig beruhigend. Ich habe immer gefunden, dass er ein nett aussehender Mann ist, dachte Edie. Roy Dial mochte seine Fehler haben, aber er war wenigstens nicht so impertinent, anzudeuten, dass Edie nicht fähig sei, Auto zu
fahren... »Ich werde fahren«, hatte sie noch eine Woche zuvor den Dreikäsehoch von Augenarzt angedonnert. »Und wenn ich ganz Mississippi umbringe...« Und während sie dastand und zuhörte, wie Mr. Dial über den Wagen redete und dabei einen Wurstfinger auf ihren Arm legte (eins hatte er ihr noch zu sagen, und dann noch etwas, und als sie es wirklich gründlich satt hatte, ihm zuzuhören, fragte er: Was muss ich denn sagen, um Sie als Kundin zu gewinnen? In

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