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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Sommers auch gekommen. Sie konnte den Atem bequem mehr als eine Minute lang anhalten, und wenn sie sich sehr still hielt, konnte sie es (nicht mehr ganz so bequem) bis auf fast zwei Minuten ausdehnen. Manchmal zählte sie die Sekunden, aber meistens vergaß sie es: Was sie faszinierte, war der Vorgang an sich, die Trance. Ihr Schatten, drei Meter tief unter ihr, bebte dunkel auf dem Boden am tiefen Ende, so groß wie der Schatten eines erwachsenen Mannes. Das Boot ist gesunken , sagte sie sich und stellte sich vor, wie sie schiffbrüchig in blutwarmer Endlosigkeit dahintrieb. Seltsamerweise war es ein tröstlicher Gedanke. Niemand wird mich retten .
    Eine Ewigkeit lang hatte sie sich so treiben lassen – hatte sich kaum bewegt, nur um zu atmen, als sie sehr leise hörte, wie jemand ihren Namen rief. Mit einem Schwimmzug und einem Beinstoß kam sie an die Oberfläche, wo Hitze, grelles Licht und das geräuschvolle Brummen der Kühlanlage am Clubhaus sie erwarteten. Durch Nebelschleier sah sie Pemberton (der noch keinen Dienst gehabt hatte, als sie angekommen war) hoch oben auf seinem Bademeisterstuhl; er winkte und sprang dann zu ihr ins Wasser.
    »Hey!«, sagte er, als er wieder auftauchte und großartig den Kopf schüttelte, dass die Tropfen sprühten. »Du bist gut geworden, seit du im Camp warst! Wie lange kannst du die Luft anhalten? Im Ernst! «, sagte er, als Harriet nicht antwortete. »Lass uns die Zeit nehmen. Ich hab ’ne Stoppuhr.«
    Harriet spürte, dass sie rot wurde.
    »Komm schon. Warum willst du nicht?«
    Harriet wusste es nicht. Unten auf dem blauen Grund sahen ihre Füße – schraffiert mit blassblauen, atmenden Tigerstreifen  – sehr weiß und zweimal so dick wie sonst aus.
    »Wie du willst.« Pem stand auf, um sich das Haar zurückzustreichen, und ließ sich dann wieder ins Wasser sinken, sodass ihre Köpfe auf gleicher Höhe waren. »Wird’s dir nicht langweilig, einfach so im Wasser zu liegen? Chris war ein bisschen sauer.«
    »Chris?«, fragte Harriet nach einer kurzen Pause erschrocken. Und der Klang ihrer eigenen Stimme erschreckte sie noch mehr, denn sie hörte sich trocken und rostig an, als habe sie seit Tagen nicht gesprochen.
    »Als ich kam, um ihn abzulösen, meinte er bloß: ›Guck dir die Kleine an. Liegt da im Wasser wie ein Klotz.‹ Die Moms mit den Kleinkindern sind ihm auf die Nerven gegangen deswegen, als ob er ein totes Kind den ganzen Nachmittag einfach so im Pool treiben ließe.« Er lachte, und als es ihm nicht gelang, Harriets Blick auf sich zu ziehen, schwamm er hinüber zur anderen Seite.
    »Willst du ’ne Coke?«, fragte er, und die Art, wie seine Stimme sich fröhlich überschlug, erinnerte sie an Hely. »Umsonst? Chris hat mir den Schlüssel für den Kühlkasten dagelassen.«
    »Nein, danke.«
    »Hey, warum hast du nicht gesagt, dass Allison zu Hause war, als ich vorgestern angerufen hab?«
    Harriet sah ihn an – und bei ihrem ausdruckslosen Blick zog Pemberton die Stirn kraus –, und dann hüpfte sie über den Boden des Pools und schwamm davon. Es stimmte: Sie hatte gesagt, Allison sei nicht da, und dann hatte sie aufgelegt, obwohl Allison nebenan gesessen hatte. Und mehr noch: Sie
wusste nicht, warum sie es getan hatte, konnte nicht einmal einen Grund erfinden.
    Er hüpfte ihr nach; sie hörte sein Plantschen. Warum lässt er mich nicht in Ruhe? , dachte sie verzweifelt.
    »Hey«, hörte sie ihn rufen. »Ich hab gehört, Ida Rhew hat gekündigt.« Ehe sie sich versah, tauchte er vor ihr auf.
    »Sag mal«, begann er – und stutzte. »Weinst du etwa?«
    Harriet tauchte, trat ihm einen kräftigen Schwall Wasser ins Gesicht und schoss unter Wasser davon.
    »Harriet?«, hörte sie ihn rufen, als sie bei der Leiter wieder hochkam. In verbissener Eile kletterte sie hinaus und hastete mit gesenktem Kopf zum Umkleideraum, und eine Kette von schwarzen Fußspuren schlängelte sich hinter ihr her.
    »Hey!«, rief er. »Sei doch nicht so. Du kannst dich doch tot stellen, solange du willst. Harriet?«, rief er noch einmal, aber sie rannte hinter die Betonmauer und in den Damenumkleideraum, und ihre Ohren glühten.

    Das Einzige, was Harriet noch irgendein Gefühl von Sinn und Zweck gab, war der Gedanke an Danny Ratliff. Dieser Gedanke war wie ein Jucken. Immer wieder – wie man pervers einen faulen Zahn mit der Zunge betastet – überprüfte sie sich selbst, indem sie an ihn dachte. Und immer wieder loderte mit krankhafter Vorhersehbarkeit die Wut auf, wie ein

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