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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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rechts.
    Auch nicht gut: wieder ein Zaun. Im Nachbargarten kläffte ein Hund. Wenn sie sich von der Straße fern hielt, konnte der Kerl im TransAm sie nicht erwischen, aber sie musste aufpassen, dass der andere, der zu Fuß unterwegs war, sie nicht in die Enge oder hinaus ins Freie trieb.
    Mit galoppierendem Herzschlag und schmerzender Lunge bog sie nach links. Hinter sich hörte sie keuchendes Atmen und den Lärm schwerer Schritte. Sie lief im Zickzack durch
Gebüschlabyrinthe, kreuzte mehrmals ihren eigenen Weg und schwenkte rechtwinklig ab, wenn es vor ihr nicht weiterging: durch fremde Gärten, über Zäune und in ein Gewirr von Rasenflächen mit Terrassen und Steinplatten, vorbei an Schaukeln und Wäschestangen und Gartengrills, vorbei an einem rundäugigen Baby, das sie furchtsam anstarrte und in seinem Laufstall schwer auf das Hinterteil plumpste. Ein Stück weiter stemmte ein hässlicher alter Mann mit einem Bulldoggengesicht sich halb aus seinem Liegestuhl auf der Veranda hoch und brüllte: »Mach, dass du wegkommst!«, als Harriet erleichtert (denn er war der erste Erwachsene, den sie zu Gesicht bekam) stehen bleiben wollte, um zu Atem zu kommen.
    Seine Worte waren wie eine Ohrfeige; trotz aller Angst war sie darüber so erschrocken, dass sie einen Herzschlag lang wie angewurzelt stehen blieb und mit verblüfftem Lidschlag in die entzündeten Augen starrte, die ihr entgegenfunkelten, und auf die sommersprossige, geschwollene alte Faust, die sich wie zum Schlag erhoben hatte. »Ja, dich meine ich!«, schrie der Mann. »Verschwinde hier!«
    Harriet rannte weiter. Von einigen der Leute, die hier in der Straße wohnten, hatte sie zwar schon die Namen gehört (die Wrights, die Motleys, Mr. und Mrs. Price), aber sie kannte sie nur vom Sehen und nicht gut genug, um atemlos an ihre Haustür zu hämmern. Warum hatte sie sich hierher jagen lassen, in dieses unbekannte Territorium? Denk nach , denk nach , befahl sie sich. Ein paar Häuser vorher, kurz bevor der alte Mann ihr mit der Faust gedroht hatte, war sie an einem Chevrolet El Camino vorbeigekommen, auf dessen Ladefläche Farbeimer und Abdeckplanen gelegen hatten; das wäre ein perfektes Versteck gewesen...
    Sie duckte sich hinter einen Propangastank, vornüber gebeugt und die Hände auf die Knie gestützt, und rang nach Atem. Hatte sie sie abgehängt? Nein: Der eingesperrte Airedale unten am Ende des Blocks, der sich gegen den Zaun geworfen hatte, als sie vorbeigelaufen war, fing wieder an zu kläffen.
    Blindlings machte sie kehrt und stürmte weiter. Krachend brach sie durch eine Lücke in einer Ligusterhecke und wäre beinahe
der Länge nach über den verblüfften Chester geflogen, der auf den Knien an einem Bewässerungsstutzen in einem dick bemulchten Blumenbeet herumhantierte.
    Er riss die Arme hoch, als sei vor ihm etwas explodiert. »Pass auf!« Chester übernahm Gelegenheitsarbeiten für alle möglichen Leute, aber sie hatte nicht gewusst, dass er auch hier arbeitete. »Was zum Donner...«
    » ... wo kann ich mich verstecken?«
    »Dich verstecken? Du kannst hier nicht spielen.« Er schluckte und wedelte mit einer erdverkrusteten Hand. »Na los. Hau ab!«
    Harriet sah sich panisch um: ein Futterglas für Kolibris, eine Glasveranda, ein jungfräulicher Picknicktisch. Das gegenüberliegende Ende des Gartens war von einer Wand aus Stechpalmendickicht begrenzt, und hinten versperrte ihr ein Rosengebüsch den Rückzug.
    »Hau ab, sag ich. Guck dir das Loch an, was du da in die Hecke gerissen hast.«
    Ein von Ringelblumen gesäumter Steinplattenpfad führte zu einem putzigen Puppenhäuschen von Werkzeugschuppen, passend zum Haus angestrichen und mit kitschig verschnörkelten Zierleisten. Die grüne Tür stand offen. In ihrer Verzweiflung hetzte Harriet den Pfad entlang, stürzte sich hinein (»Hey!«, rief Chester) und warf sich zwischen einen Stapel Feuerholz und eine dicke Rolle Glasfasermatte.
    Die Luft war stickig und staubig. Harriet hielt sich die Nase zu. Im Halbdunkel – mit keuchender Lunge und prickelnder Kopfhaut – sah sie einen zerfransten Federball neben dem Brennholzstapel auf dem Boden liegen, und auf einer Reihe bunter Metallkanister stand »Benzin« und »Getriebeöl« und »Frostschutz«.
    Stimmen: männlich. Harriet erstarrte. Lange Zeit verging, und es kam ihr so vor, als seien die Kanister mit Benzin und Getriebeöl und Frostschutz die letzten drei Artefakte des Universums. Was können sie mir tun ?, dachte sie wild. Wenn Chester

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