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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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dabei ist? Sie lauschte angestrengt, aber das Rasseln ihres eigenen Atems übertönte alles. Du musst schreien, schärfte sie sich ein, wenn sie dich packen, musst du schreien und dich losreißen, schreien und wegrennen ... Aus irgendeinem Grund hatte sie vor dem Auto am meisten Angst. Sie hätte nicht sagen können, warum, aber sie hatte das Gefühl, wenn sie sie im Wagen hätten, wäre alles zu Ende.
    Chester würde sicher nicht zulassen, dass sie sie mitnahmen. Aber sie waren zu zweit, und Chester war allein. Und Chesters Wort würde gegen zwei Weiße nicht lange standhalten.
    Augenblick um Augenblick verging. Worüber redeten sie, wieso dauerte es so lange? Konzentriert starrte Harriet eine eingetrocknete Honigwabe unter der Werkbank an. Dann plötzlich näherte sich eine Gestalt.
    Die Tür öffnete sich knarrend. Ein Dreieck aus verwaschenem Licht fiel auf den Lehmboden. Alles Blut wich aus ihrem Kopf, und einen Augenblick lang glaubte sie in Ohnmacht zu fallen, aber es war nur Chester, nur Chester, der sagte: »Kannst rauskommen.«
    Es war, als sei eine gläserne Barriere geborsten. Geräusche fluteten herein: Vogelgezwitscher, eine Grille, die auf dem Boden hinter einem Ölkanister durchdringend zirpte.
    »Bist du da drin?«
    Harriet schluckte; als sie sprach, war ihre Stimme matt und rau. »Sind sie weg?«
    »Was hast du ihnen getan?« Das Licht war hinter ihm; sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber es war wirklich Chester: Chester mit seiner Schmirgelpapierstimme, mit seiner schlaksigen Silhouette. »Die tun, als hättest du ihnen was geklaut.«
    »Sind sie weg?«
    »Ja , sie sind weg«, sagte Chester ungeduldig. »Komm jetzt da raus.«
    Harriet stand hinter der Rolle Glaswolle auf und strich sich mit dem Oberarm über die Stirn. Sie war mit Sand gesprenkelt, und an ihrer Wange klebten Spinnweben.
    »Du hast doch nichts umgeschmissen da drin, oder?«, fragte Chester und spähte in die hinteren Winkel des Schuppens.
Dann schaute er auf sie herab. »Wie du aussiehst.« Er hielt ihr die Tür auf. »Wieso waren sie hinter dir her?«
    Immer noch atemlos schüttelte Harriet den Kopf.
    »Kerle wie die haben nicht hinter ’nem Kind herzurennen.« Chester sah sich um, während er in die Brusttasche langte, um seine Zigaretten herauszuholen. »Was hast du gemacht? Hast du ’n Stein auf ihr Auto geworfen?«
    Harriet reckte den Hals, um an ihm vorbeizuspähen. Aber wegen der dichten Büsche (Liguster, Stechpalme) konnte sie von der Straße nichts sehen.
    »Ich sag dir was.« Chester blies den Rauch durch die Nasenlöcher. »Hast Glück, dass ich heute hier arbeite. Mrs. Mulverhill, wenn die nicht grade in der Chorprobe wär, die hätte die Polizei gerufen, weil du hier durchgerannt bist. Letzte Woche musste ich mit dem Wasserschlauch auf so’n armen alten Hund spritzen, der sich in den Garten verlaufen hatte.«
    Er rauchte. Harriets Herzschlag dröhnte immer noch in ihren Ohren.
    »Wie kommst du denn dazu«, fragte Chester, »hier bei den Leuten durch die Büsche zu toben? Ich sollte es deiner Großmutter sagen.«
    »Was haben sie zu dir gesagt?«
    »Gesagt? Gar nichts haben die gesagt. Der eine hat seinen Wagen draußen abgestellt, und der andere hat den Kopf durch die Hecke gestreckt und reingeguckt, als ob er der Stromableser wär, der den Zähler sucht.« Chester zerteilte ein paar unsichtbare Zweige und imitierte den Blick des Mannes, einschließlich seines unheimlichen Augenrollens. »Hatte ’n Overall an, als käm er vom Elektrizitätswerk.«
    Über ihnen knackte ein Zweig; es war nur ein Eichhörnchen, aber Harriet schrak heftig zusammen.
    »Willst du mir nicht sagen, warum du vor diesen Kerlen weggerannt bist?«
    »Ich... ich hab ...«
    »Was?«
    »Ich hab gespielt«, sagte Harriet lahm.
    »Du solltest dich nicht so aufregen.« Durch eine Rauchwolke
musterte Chester sie pfiffig. »Was guckst du denn so ängstlich da rüber? Soll ich dich nach Hause bringen?«
    »Nein«, sagte sie, aber als Chester lachte, merkte sie, dass ihr Kopf eifrig nickte: ja .
    Chester legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Du bist ganz durcheinander«, sagte er, aber seinem fröhlichen Tonfall zum Trotz machte er ein besorgtes Gesicht. »Ich sag dir was. Wenn ich jetzt nach Hause geh, komm ich sowieso bei euch vorbei. Ich wasch mich schnell am Hydranten, und dann geh ich mit dir.«

    »Schwarze Trucks«, sagte Farish abrupt, als sie auf den Highway einbogen, um nach Hause zu fahren. Er war ganz aufgedreht und atmete mit lautem,

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