Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Action-Pose gemalt – wie sie Robin retteten und die Schurken pulverisierten –, aber er konnte nicht gut genug zeichnen, und deshalb mussten sie einfach in einer Reihe dastehen und geradeaus starren. Nachträglich hatte er noch den Einfall, sich selbst mit dazuzumalen, ein kleines Stück abseits. Er hatte das Gefühl, dass er Robin im Stich gelassen hatte. Normalerweise war das Hausmädchen sonntags nicht da, aber an diesem Tag war sie es doch gewesen.
Wenn er sich am Nachmittag nicht von ihr hätte verjagen lassen, wäre Robin vielleicht noch am Leben.
Wie die Dinge lagen, hatte Danny damals das Gefühl, dass er um Haaresbreite davongekommen war. Ihr Vater ließ ihn und Curtis oft allein durch die Stadt streifen – oft auch nachts – , und es war nicht so, dass sie ein Zuhause oder freundliche Nachbarn gehabt hätten, zu denen sie hätten laufen können, wenn irgendein Irrer hinter ihnen her gewesen wäre. Curtis versteckte sich zwar brav, aber er begriff nicht, warum er den Mund halten sollte, und musste andauernd zum Schweigen gebracht werden. Trotzdem war Danny froh gewesen, ihn dabeizuhaben, selbst wenn Curtis vor lauter Angst Hustenanfälle kriegte. Am schlimmsten waren die Nächte, wenn Danny allein war. Mucksmäuschenstill versteckte er sich in Werkzeugschuppen und hinter den Hecken fremder Leute und atmete schnell und flach in der Dunkelheit, bis die Pool Hall um zwölf zumachte. Dann kroch er aus seinem Versteck hervor und rannte durch die dunklen Straßen bis zur erleuchteten Pool Hall, und beim leisesten Geräusch schaute er sich um. Die Tatsache, dass er bei seinen nächtlichen Wanderungen nie jemanden besonders Furchterregenden zu sehen bekam, jagte ihm umso mehr Angst ein, als wäre Robins Mörder unsichtbar, oder als habe er geheime Kräfte. Er fing an, Alpträume über Batman zu haben, in denen Batman sich in leeren Räumen umdrehte und auf ihn zukam, schnell und mit böse leuchtenden Augen.
Danny war keine Heulsuse – so was ließ sein Vater nicht zu, nicht mal bei Curtis –, aber eines Tages fing Danny vor der versammelten Familie an zu schluchzen, und darüber war er selbst ebenso überrascht wie alle andern. Und als er nicht aufhören konnte, riss sein Vater ihn beim Arm hoch und erbot sich, ihm einen Grund zum Weinen zu geben. Nachdem er eine Tracht Prügel mit dem Gürtel bezogen hatte, schnitt ihm Ricky Lee in der engen Diele des Trailers den Weg ab. »Er war wohl dein Schätzchen.«
»Dir wär’s wohl lieber, wenn du es gewesen wärst«, sagte seine Großmutter gütig.
Gleich am nächsten Tag hatte Danny in der Schule mit lauter Sachen angegeben, die er gar nicht getan hatte. Auf irgendeine merkwürdige Weise hatte er nur versucht, sein Gesicht zu wahren – er hatte keine Angst vor irgendwas, nicht er –, aber ihm war trotzdem unbehaglich, wenn er jetzt daran dachte, wie die Trauer sich in Lügen und Großmäuligkeit verwandelt hatte. Zum Teil war es sogar Neid gewesen, als habe Robins Leben nur aus Partys und Geschenken und Torten bestanden. Denn, sicher: Für Danny war es nicht einfach gewesen, aber wenigstens war er nicht tot.
Die Glocke über der Tür klingelte, und Farish kam mit einer fettigen Papiertüte auf den Parkplatz. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er den leeren Wagen sah.
Geschmeidig trat Danny aus der Telefonzelle: keine plötzlichen Bewegungen. In den letzten paar Tagen war Farishs Benehmen so unberechenbar, dass Danny sich allmählich vorkam wie eine Geisel.
Farish drehte sich um und sah ihn an. Seine Augen waren glasig. »Was machst du hier?«
»Äh, nichts weiter. Hab bloß ins Telefonbuch geguckt.« Danny ging zügig zum Wagen und achtete auf einen angenehm neutralen Gesichtsausdruck. In letzter Zeit konnte alles, was außerhalb des Gewöhnlichen lag, Farish hochgehen lassen; am Abend zuvor hatte er sich über irgendetwas im Fernsehen aufgeregt und ein Glas Milch so hart auf den Tisch geknallt, dass es in seiner Hand zerbrochen war.
Farish starrte ihn aggressiv an und verfolgte ihn mit den Augen. »Du bist nicht mein Bruder.«
Danny erstarrte, die Hand an der Wagentür.
Ohne jede Vorwarnung stürmte Farish heran und schlug Danny, sodass er der Länge nach auf den Asphalt flog.
Als Harriet nach Hause kam, telefonierte ihre Mutter oben mit ihrem Vater. Was das zu bedeuten hatte, wusste Harriet nicht, aber es schien ein schlechtes Zeichen zu sein. Sie setzte sich auf die Treppe, stützte das Kinn auf die Hände und wartete.
Aber als eine
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