Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Unablässig erinnerte Gum ihre Enkel daran, sodass nicht die Gefahr bestand, dass sie übermütig wurden und es vergaßen.
Danny hatte erwartet, dass die Party bei Robin zu Hause stattfinden würde (wo es schon schön genug war), aber er war wie vom Donner gerührt, als der voll gepackte Kombiwagen, den die Mutter irgendeines Mädchens steuerte, über die Stadtgrenze hinausfuhr, an Baumwollfeldern vorbei und durch eine lange Allee zu dem Haus mit der Säulenfassade. An einen solchen Ort gehörte er nicht. Und schlimmer noch: Er
hatte kein Geschenk mitgebracht. In der Schule hatte er versucht, ein Matchbox-Auto, das er gefunden hatte, in ein Blatt Papier aus einem Schulheft einzupacken, aber er hatte keinen Klebstreifen gehabt, und es hatte überhaupt nicht ausgesehen wie ein Geschenk, sondern bloß wie eine zusammengeknüllte Seite mit Hausaufgaben.
Aber niemand schien zu bemerken, dass er kein Geschenk hatte; zumindest sagte niemand etwas. Und aus der Nähe war das Haus auch nicht so großartig, wie es von weitem aussah – im Gegenteil, es fiel auseinander, die Teppiche waren von Motten zerfressen, der Putz bröckelte, und die Decken hatten Risse. Die alte Lady, Robins Großmutter, hatte bei der Party den Vorsitz geführt, und auch sie war groß und förmlich und Angst einflößend. Als sie die Haustür geöffnet hatte, hatte sie ihm einen tödlichen Schrecken eingejagt, wie sie so in ihrer steifen Haltung vor ihm gestanden hatte, mit ihrem schwarzen, reich aussehenden Kleid und ihren zornigen Augenbrauen. Ihre Stimme klang scharf, und ihre Schritte auch, wie sie schnell durch die hallenden Räume klapperten, so energisch und hexenhaft, dass die Kinder aufhörten zu reden, wenn sie in ihrer Mitte erschien. Aber sie hatte ihm ein wunderschönes weißes Stück Torte auf einem Glasteller gereicht: ein Stück mit einer dicken Rose aus Zuckerguss, und Schrift war auch drauf gewesen, das große rosarote H aus HAPPY. Sie hatte über die Köpfe der anderen Kinder hinweggeschaut, die sich an dem schönen Tisch um sie drängten, und Danny (der sich im Hintergrund hielt) das spezielle Stück mit der rosaroten Rose gegeben, als wolle sie, dass Danny und niemand sonst es bekam.
Das also war die alte Lady. E . Cleve . Seit Jahren hatte er sie nicht mehr gesehen oder an sie gedacht. Als »Drangsal« in Flammen aufging – Flammen, die den Nachthimmel meilenweit erleuchtet hatten –, schüttelten Dannys Vater und seine Großmutter mit klammheimlich amüsiertem Ernst den Kopf, als hätten sie die ganze Zeit gewusst, dass ein solches Haus brennen musste. Sie konnten nicht anders – sie genossen es, mitanzusehen, wie die »Großmächtigen« ein wenig heruntergestutzt wurden, und Gum hegte einen speziellen Groll gegen
»Drangsal«, weil sie als Kind auf den Plantagen des Hauses Baumwolle gepflückt hatte. Es gab eine großkotzige Klasse von Weißen – Verräter an der eigenen Rasse, wie Dannys Vater sagte –, in deren Augen Weiße, die Pech gehabt hatten, nicht besser waren als irgendein gewöhnlicher Gartennigger.
Ja: Die alte Lady war heruntergestutzt worden, und ein Abstieg in der Welt, wie sie ihn erlebt hatte, war fremdartig und traurig und geheimnisvoll. Dannys eigene Familie konnte kaum noch weiter absteigen. Und Robin (ein großzügiger, freundlicher Junge) war tot – seit vielen Jahren schon: ermordet von irgendeinem Irren auf der Durchreise, oder von einem dreckigen alten Tramp, der von der Bahnlinie heraufgewandert war. Niemand wusste es. Die Lehrerin, Mrs. Marter (ein tückischer Fettarsch mit einer Bienenkorbfrisur – sie hatte Danny gezwungen, eine ganze Woche lang eine gelbe Frauenperücke in der Schule zu tragen, zur Strafe für irgendetwas, er wusste gar nicht mehr, wofür eigentlich) hatte an dem Montagmorgen in der Schule mit den anderen Lehrern auf dem Flur tuschelnd zusammengestanden, und sie hatte rote Augen gehabt, als ob sie geweint hätte. Nach dem Läuten hatte sie sich an ihr Pult gesetzt und gesagt: »Kinder, ich habe sehr traurige Nachrichten.«
Die meisten Kids aus der Stadt hatten es schon gehört, nur Danny nicht. Zuerst hatte er gedacht, Mrs. Marter wollte sie verarschen, aber als sie Buntstifte und Zeichenpapier auspacken und Karten für Robins Familie malen mussten, war ihm klar geworden, dass sie es nicht tat. Auf seine Karte hatte er mit großer Sorgfalt Batman und Spiderman und den Incredible Hulk gezeichnet, die in einer Reihe vor Robins Haus standen. Er hätte sie gern in
Weitere Kostenlose Bücher