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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Schulen?« einen Sturm von bestürzten und kämpferischen Predigten entfesselt) – alles das war Harriets Werk gewesen, die Frucht ihres trockenen, skrupellosen, berechnenden kleinen Verstandes. Harriet! Obwohl sie klein war, war sie eine Furie auf dem Schulhof, und wenn sie sich prügelte, kämpfte sie unfair. Einmal hatte Fay Gardner sie verpetzt, und Harriet hatte in aller Ruhe unter ihr Pult gegriffen und die übergroße Sicherheitsnadel geöffnet, die ihren Schottenrock zusammenhielt. Den ganzen Tag hatte sie auf die richtige Gelegenheit gewartet, und als Fay am Nachmittag irgendwelche Arbeitsblätter verteilt hatte, hatte sie wie der Blitz zugeschlagen und Fay in den Handrücken gestochen. Es war das einzige Mal, dass Hely gesehen hatte, wie der Direktor ein Mädchen schlug. Drei Schläge mit dem Paddel. Und sie hatte nicht geweint. Na und?, hatte sie kühl entgegnet, als er ihr deswegen auf dem Heimweg ein Kompliment gemacht hatte.
    Wie konnte er sie dazu bringen, ihn zu lieben? Er wünschte, er hätte ihr etwas Neues und Interessantes zu erzählen, irgendwelche
interessanten Fakten oder coole Geheimnisse, die wirklich Eindruck auf sie machen würden. Oder sie wäre in einem brennenden Haus eingeschlossen oder würde von Räubern verfolgt, damit er wie ein Held eingreifen und sie retten könnte.
    Er war mit dem Fahrrad zu diesem abgelegenen Bach gefahren, der so klein war, dass er nicht einmal einen Namen hatte. Weiter unten an der Uferböschung waren ein paar schwarze Jungen, nicht viel älter als er, und weiter oben ein paar einzelne alte Schwarze in Khakihosen mit aufgekrempelten Hosenbeinen. Einer von denen, er hatte einen Styropor-Eimer und trug einen großen Stroh-Sombrero, auf dem mit grüner Schrift Souvenir of Mexico gestickt war, kam jetzt vorsichtig heran. »Guten Tag.«
    »Hey«, sagte Hely wachsam.
    »Warum kippst du die ganzen guten Würmer auf die Erde?«
    Hely wusste nicht, was er sagen sollte. »Ich hab Benzin drübergekleckert«, behauptete er schließlich.
    »Das macht denen nichts. Die Fische fressen sie trotzdem. Brauchst sie bloß abzuwaschen.«
    »Das ist schon okay.«
    »Ich helf dir. Wir können sie hier vorn im flachen Wasser schwenken.«
    »Nehmen Sie sie ruhig, wenn Sie sie haben wollen.«
    Der alte Mann gluckste trocken, und dann bückte er sich und fing an, seinen Eimer zu füllen. Hely fühlte sich gedemütigt. Er hockte da und starrte auf einen köderlosen Haken im Wasser, und dabei mümmelte er mürrisch Erdnüsse aus einer Plastiktüte in seiner Tasche und tat, als sehe er nichts.
    Wie konnte er sie dazu bringen, ihn zu lieben? Sie dazu bringen, dass sie es bemerkte, wenn er nicht da war? Vielleicht könnte er ihr etwas kaufen, aber er wusste nicht, was sie sich wünschte, und er hatte auch gar kein Geld. Wenn er wenigstens eine Rakete oder einen Roboter bauen könnte oder Messer werfen und Sachen treffen wie im Zirkus. Oder wenn er ein Motorrad hätte und damit Kunststücke machen könnte wie Evel Knievel.
    Verträumt blinzelte er über den Bach zu einer alten schwarzen
Frau hinüber, die am anderen Ufer angelte. Einmal nachmittags hatte Pemberton ihm draußen auf dem Land gezeigt, wie man die Schaltung des Cadillac bediente. Er stellte sich vor, wie er und Harriet mit offenem Verdeck den Highway 51 hinaufrasten. Ja, er war erst elf, aber in Mississippi konnte man mit fünfzehn den Führerschein machen und in Louisiana mit dreizehn. Wenn es sein musste, würde er es sicher schaffen, als Dreizehnjähriger durchzugehen.
    Sie könnten ein Lunchpaket mitnehmen. Saure Gurken und Gelee-Sandwiches. Vielleicht konnte er ein bisschen Whiskey aus dem Barschrank seiner Mutter stehlen, oder, wenn das nicht ginge, eine Flasche Dr. Tichenor’s, das war zwar ein antiseptisches Mundwasser und schmeckte beschissen, hatte aber über fünfzig Prozent Alkohol. Sie könnten nach Memphis fahren, zum Museum, und sich die Dinosaurierknochen und die Schrumpfköpfe angucken. So was gefiel ihr, weil es sie bildete. Und dann könnten sie in die Stadt ins Peabody Hotel fahren und den Enten zusehen, die durch die Lobby marschierten. Sie könnten in einem großen Zimmer auf dem Bett herumspringen und beim Roomservice Shrimps und Steaks bestellen und die ganze Nacht fernsehen. Und niemand könnte sie daran hindern, in die Badewanne zu gehen, wenn sie Lust hätten. Ohne Kleider. Sein Gesicht glühte. Wie alt musste man sein, um zu heiraten? Wenn er die Highway-Polizei überzeugen könnte, dass er fünfzehn

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