Der kleine Koenig von Bombay
und ihm mitgeteilt, dass Monique ab sofort nicht mehr bei ihm arbeiten werde. Er habe sich geweigert, eine Telefonnummer zu hinterlassen. Die Art und Weise, wie Tony das erzählte, machte klar, dass er Arzee die Schuld an allem gab. Wenn Leute Probleme hatten, suchten sie sich immer einen Sündenbock, und die Mächtigen taten unterdessen, was ihnen passte.
Einen Monat lang erwachte Arzee jeden Morgen unruhig und gespannt, als wäre dies der große Tag, und jeden Abend ging er in sich zusammengesunken und deprimiert ins Bett. Jedes Mal, wenn sein Telefon klingelte oder piepste, schaute er hastig nach, wer es war, doch auch wenn der Anrufer nicht angezeigt wurde, war die Stimme am anderen Ende nie die von Monique. Wo immer sie sein mochte auf dieser Welt, seine Frau der wenigen Worte war restlos verstummt. Sie schien weder mit ihm noch mit sonstwem aus ihrem alten Leben reden zu wollen – obwohl er sie doch so vermisste, die Stadt sie vermisste. Selbst Tony konnte nicht ganz glauben, dass Monique wirklich fort war. Als Arzee eine Woche später noch einmal in den Salon ging, um ihn zu fragen, ob er irgendetwas Neues wisse, sah er, dass Moniques Friseurstuhl immer noch leer stand und niemand anderem zugeteilt worden war.
Er hätte natürlich versuchen können, sie aufzuspüren, doch im Laufe der Wochen erkaltete Arzee innerlich, und seine Liebe wurde zu Asche. All ihre gemeinsamen Träume – sie waren nur ein Spiel gewesen! All ihre Gespräche – sie waren in dieses Schweigen gemündet. Es war offensichtlich, dass Monique, wo immer sie auch sein mochte, prima ohne ihn zurechtkam, dass das Leben für sie weiterging und nicht, wie für ihn, geendet hatte. Sie wusste das, doch es war ihr egal. Aber er würde durchhalten – er würde ihr nicht nachlaufen wie der letzte Trottel. Ja, er war ein Zwerg. Na und? Konnte man ihn deshalb für selbstverständlich nehmen? Ganz gewiss nicht. Ihr Vater hatte ihn bereits einmal geohrfeigt – das war genug der Erniedrigung. Überhaupt gab es nur einen Grund, Monique ausfindig zu machen, und zwar, um ihr auch eine runterzuhauen. Sie war die Einzige von ihnen dreien, die davongekommen war, ohne eine Ahnung davon zu haben, wiees sich anfühlte, geohrfeigt zu werden. Mit einer freudlosen, düsteren Befriedigung versicherte sich Arzee, es sei nur gut, dass er die launische und unbeständige Monique los war. Denn letzten Endes hätte sie ihn eh enttäuscht.
Wie schön war doch das Noor! In den vergangenen Monaten war ihm völlig entgangen, wie schön es war. Wie nett war es doch mit seinen Freunden! Er hatte den Kontakt zu ihnen fast verloren. Wie wohltuend war noch die simpelste Bemerkung seiner Mutter! Er konnte gar nicht verstehen, warum er in den vergangenen Monaten ihr gegenüber immer so ungeduldig gewesen war. Es gab so viel Schönes im Leben – ja doch, so viel Schönes. Arzee fühlte sich so schwach, dass es ihm vorkam, als wäre er noch kleiner geworden, als sänke er in den Boden und würde demnächst ganz verschwinden. Die winzigsten Dinge versetzten ihn in einen Glückstaumel, und der Absturz danach war tiefer und heftiger denn je. Er begann, mit sich selbst zu reden, sich derber auszudrücken, Trost im Alkohol zu suchen und Freude daran zu finden, zu Leuten, die ihn verärgert hatten, garstig zu sein. Und er war froh über das alles, denn er glaubte, um es Monique heimzuzahlen, müsse er den alten, schlichten, einfältigen Arzee zerstören – jenem Mann, den sie geliebt hatte, die Treue aufkündigen. Erst wenn er ein neuer Mensch geworden war, würde er den alten Preis nicht mehr bezahlen müssen.
Klein und armselig und schäbig ist der Mensch, wenn er ohne Unterstützung durchs Leben geht, nur durch die Bande des Bluts und des Berufs gebunden. Aber so war das Leben nun einmal, wenn man all seiner Illusionen beraubt war, das sah er mit jedem Tag deutlicher. Jeder Mensch war allein auf dieser Welt, und ein Mann wie er ganz besonders. Aber immerhin hatte er das Noor – im Noor ging es für ihn nochvoran. Und irgendwann würde er heiraten, und seine Frau würde mit ihrer Fürsorglichkeit einen Schlussstrich unter seine unseligen Stunden mit Monique ziehen. So dachte er sich das. Doch er war nun mal Arzee, der Zwerg, der all seine Zukunftsaussichten selbst vereitelte, indem er sie zum Gegenstand seiner Träume und Gedanken machte.
Von all diesen Dingen erzählte er Renu unter wildem Gelächter, einem Gelächter, das in der ersten Stunde von Verwunderung, in der zweiten
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