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Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
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von Schmerz erfüllt war.

Elftes Kapitel
Ich bin’s bloß
    D ie Sonne hatte den Zenit überschritten, im Foyer des Noor hallten die Klänge des laufenden Films wider, und Tawde, der Pförtner, grinste, als Arzee mit einem Nicken an ihm vorbeiging. Arzee war wieder bei der Arbeit – für die kurze Zeit, in der er noch Vollzeit arbeiten würde.
    »Warum hat Tawde mich so angeguckt?«, fragte sich Arzee und sah nach, ob sein Hosenladen offen war.
    Zu seiner Linken stapelte Kaputkar, der Kartenverkäufer, trübsinnig Popcorntüten auf die Snacktheke und schnäuzte sich zwischendurch in ein riesiges, sehr schmutziges Taschentuch. Ein paar Schritte weiter bezeugten die abgenutzten Stiefel, die unter seinem Schreibtisch hervorragten, dass Abjani in seinem Büro war. Tyson war nirgends zu sehen, doch die tote Eidechse, die auf dem Boden lag, konnte nur sein Werk sein. Arzee ging die Treppe hinauf, machte auf dem Treppenabsatz ein erstes Mal Halt, um sich im Spiegel zu betrachten, und dann noch ein zweites Mal im ersten Stock, um sich die Fotogalerie anzuschauen.
    »Frauen!«, dachte er. »Ich bin ein Trottel, und gestern habe ich es unter Beweis gestellt. Renu! Wer war sie? Was war sie? Und ich? Was habe ich da eigentlich gemacht? Was habe ich dahergeredet? Gesten und gutes Aussehen machen ganze Dezimeter aus? Monique hat oft Omelettes mit Pilzengemacht? Orgasmen sind leuchtend rosa? Dort klopfen sie sich wahrscheinlich immer noch die Schenkel und können sich kaum mehr auf den Beinen halten vor Lachen. Aber es ist einfach zu lachen, und schwer, aufrichtig zu sein. Also lacht nur! Lacht!«
    Doch er wusste, dass sie nicht
nur
gelacht hatten, denn das Letzte, was er von diesem Nachmittag noch in Erinnerung hatte, war, dass Renu plötzlich zu Monique geworden war, er ihre Hand umklammerte und sie bat, mit ihm nach Hause zu kommen, und dass der Hausdiener an seiner Schulter zog und ihm sagte, Anfassen sei nicht erlaubt. Und dann waren ihm die Tränen in die Augen geschossen. Die Mädchen hatten sich alle um Arzee versammelt, der im Schneidersitz auf dem Sofa saß und den Kopf in die Hände stützte. Eine hatte ihm ihren
dupatta 17
angeboten, damit er sich das Gesicht abwischen konnte, eine zweite hatte ihm das Knie getätschelt, eine dritte hatte seine Teetasse für ihn gehalten, und eine vierte hatte das Ablaufdatum auf der Aspirinschachtel überprüft. Während der eine Hausdiener das Licht dimmte, weil Arzee Kopfschmerzen hatte, kniete der andere auf dem Boden und wischte den Drink auf, den Arzee verschüttet hatte.
    Und dann hatten sie ihn in eine fensterlose kleine Kammer geführt, in der ein wackeliges Bett mit einem groben grauen Laken und einem muffig riechenden Kissen stand. Als Arzee sich hinlegte, kam es ihm vor wie das bequemste Bett, auf dem er je gelegen hatte, und kaum hatte er das gedacht, war er auch schon weg. Einige Stunden später erwachte er vom Zischen und Wummern dröhnender Beats.
    »Ich fahre nie wieder nach Jogeshwari, so viel steht fest«,dachte Arzee. Er wischte ein paar Spinnweben über der Treppe zum Vorführraum weg. »Ich rieche Weihrauch! Phiroz ist aus Udwada zurück.«
    Phiroz kniete vor seinen Götterbildern und betete unter den funkelnden blauen Lämpchen. Rings um seinen breiten Rücken stiegen senkrechte Rauchfäden auf, und seine Glatze glänzte in dem Licht, das durchs Fenster hereinfiel. Sule hantierte lustlos am Babur, wie ein ermatteter Bauer, der in der Sonne mit seinen Ochsen unterwegs ist. Trotz des Weihrauchs roch es im Vorführraum komisch, und Arzee war überzeugt, dass das Sule war.
    »Verschwinde«, sagte Arzee zu ihm. »Ich bin jetzt da.«
    Sule legte schweigend eine Filmrolle ab und ging.
    »Entschuldige die Störung, Phirozbhai«, sagte Arzee, während er die Filmrolle aufhob und die Nummer überprüfte. »Ich kümmere mich um die Vorstellung. Mach ruhig weiter.«
    »Weitermachen soll ich?«, fragte Phiroz, ohne sich umzudrehen oder sich sonstwie zu bewegen, so dass es Arzee schien, als käme der Tadel direkt von den Göttern. »Wie soll ich denn weitermachen? Da verreise ich für fünf Tage, und als ich wiederkomme, erfahre ich, dass du dich in dieser ganzen Zeit kaum hier hast blicken lassen. Nennst du das ›dich um die Vorstellung kümmern‹? Soll ich dir vielleicht jeden Morgen eine Einladung schicken?«
    »Hör zu, Phirozbhai –«
    »Das ist das Noor hier. Ist dir das eigentlich klar?«
    »Es
war
das Noor, Phirozbhai. Dieses Kino
war
das Noor«, widersprach Arzee.

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