Der kleine Lord
Ansicht nach, in dem Punkte zuverlässig.«
Die Mutter ging, Cedrik zu holen, und brachte ihn ins
Wohnzimmer. Vor der Thüre hörte Mr. Havisham ihn laut
reden.
»Entzündlichen Rheu'tismus hat er,«
sagte er, »und das ist eine besonders schreckliche Art von
Rheu'tismus, Und er denkt immer an die Hausmiete, die nicht bezahlt
ist, und Bridget sagt, das mache die Entzündlichkeit viel
schlimmer. Pat könnte eine Stelle kriegen in einem Laden, aber
er hat keine anständigen Kleider.«
Das kleine Gesicht war noch ganz bekümmert, als er
hereinkam; offenbar thaten ihm seine Schützlinge sehr leid.
»Herzlieb sagt, Sie wollen etwas von mir,«
wandte er sich an Mr. Havisham. »Ich habe nur mit Bridget
gesprochen.«
Mr. Havisham sah ihn freundlich an, fühlte sich aber
einigermaßen verlegen und ungeschickt; wie die Mutter gesagt
hatte, war er doch noch ein sehr kleiner Junge.
»Der Graf Dorincourt,« begann er und warf
dann unwillkürlich einen hilfesuchenden Blick auf Mrs, Errol.
Plötzlich kniete die Mutter an der Seite des kleinen
Lord und schlang zärtlich die Arme um seine schlanke kleine
Gestalt.
»Herzenskind, der Graf, siehst du, ist dein
Großvater – deines Papas Vater, und er ist sehr,
sehr gütig und hat dich lieb und möchte, daß
du ihn auch lieb hättest, jetzt, wo alle drei Söhne
tot sind, die einst seine kleinen Jungen waren. Er möchte dich
glücklich wissen und möchte, daß du andre
glücklich machst, und er ist sehr reich und will, daß
du alles haben sollst, was du dir wünschest. Das hat er Mr.
Havisham gesagt und hat ihm viel, viel Geld für dich gegeben.
Wenn du nun willst, so darfst du Bridget so viel geben, daß
sie ihre Miete bezahlen und ihrem Manne alles kaufen kann, was er
braucht – ist das nicht herrlich, Ceddie? Ist der
Großpapa nicht gut?« Und sie küßte
das Kind auf seine runden Wangen, deren Farbe vor lauter Freude und
Aufregung immerfort wechselte.
»Kann ich das Geld jetzt gleich haben?« rief
er. »Darf ich's ihr jetzt geben? Sie will eben gehen.«
Mr. Havisham händigte ihm die Summe ein, und er
stürmte aus dem Zimmer.
»Bridget,« hörte man ihn jubelnd
rufen. »Bridget, so warte doch. Hier ist Geld, das
gehört dir, jetzt kannst du deine Miete zahlen. Mein
Großpapa hat es mir gegeben für dich und
Michael!«
»O Master Ceddie,« stotterte Bridget ganz
überwältigt. »Das sind ja
fünfundzwanzig Dollar. Wo ist die Mrs. Errol?«
»Ich werde wohl selbst gehen müssen und ihr
die Sache klar machen,« sagte Mrs. Errol.
Mr. Havisham blieb allein, und seine Gedanken flogen
zurück zu dem heftigen, egoistischen Greise, der sein
lebenlang nicht Zeit gefunden hatte, an etwas andres zu denken als an
sich und sein Vergnügen, und der nun als alter Mann keine
Menschenseele um sich hatte, die ihm zugethan war. Und daneben stellte
sich ihm in scharfem Gegensätze das Bild des
hübschen, frischen Jungen dar, wie er in seinem Stuhle
gesessen und von Dick und seinen andern Freunden erzählt
hatte, und er bedachte, welch unermeßliche
Reichtümer, welch herrliche Besitzungen, welche bedeutende
Macht zum Bösen oder Guten eines Tages in den kleinen runden
Händchen liegen werde, die der kleine Lord so tief in seine
Taschen zu versenken liebte.
»Es wird vieles anders werden,« sagte er
sich, »ganz anders werden die Dinge sich gestalten.«
Bald darauf trat Cedrik mit seiner Mutter wieder ein, der
Junge in großer Erregung. Er setzte sich auf seinen eignen
kleinen Stuhl zwischen die Mutter und den Advokaten und nahm eine
seiner wunderlichen Stellungen an, die Hände um die Kniee
gefaltet.
»Geweint hat sie,« sagte er ganz strahlend.
»Vor Freude geweint – das hab' ich noch nie gesehen!
Mein Großpapa muß sehr gut sein, hab's gar nicht
gewußt, daß er so gut ist. Es ist doch angenehmer,
als ich mir's dachte, ein Graf zu sein. Beinahe bin ich froh
– beinahe bin ich sehr froh, daß ich einer werden
soll.«
Drittes Kapitel
Abschied von der Heimat
Während der folgenden Woche erfuhr Cedriks
günstige Meinung über Grafen im allgemeinen und
besondern noch eine wesentliche Steigerung. Es wurde ihm anfangs
schwer, zu begreifen, daß es kaum mehr etwas gab, was er nicht
erlangen konnte, und völlig wurde er sich über diese
Thatsache überhaupt nicht klar. Das aber hatte er nach einigen
Gesprächen mit Mr. Havisham erkannt, daß die
Wünsche, die er auf dem Herzen hatte, in Erfüllung
gehen sollten, und er
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