Der kleine Lord
Havisham: »Danke auch, Sir, daß
Sie ihn hergebracht, und für alles. Er – er ist ein
kurioser kleiner Kerl,« setzte er hinzu, »ich hab'
immer große Stücke auf ihn gehalten. Und
Grütz' im Kopfe hat er und ist so ein ganz aparter
Jung'.«
Und nachdem die beiden von ihm weggegangen, stand Dick noch
lange da und sah ihnen nach, und solange er die kleine biegsame Gestalt
so elastisch neben ihrem großen, ernsten Begleiter
dahinwandeln sah, wollte der Nebel vor seinen Augen nicht weichen.
Bis zum Tage der Abreise brachte Seine Herrlichkeit so viel
Zeit als möglich in Mr. Hobbs' Laden zu. Mr. Hobbs selbst war
in sehr gedrückter Stimmung, aus der er sich kaum mehr
aufzuraffen wußte, und als sein kleiner Freund ihm
triumphierend sein Abschiedsgeschenk, eine goldne Uhr mit Kette
überreichte, war er kaum im stande, die Gabe gehörig
zu würdigen. Er legte das Etui auf sein Knie und schneuzte
sich mehrmals mit großem Geräusche.
»Es steht was drin,« sagte Cedrik,
»innen drin. Ich hab's dem Manne selbst gesagt, was er
hineinschreiben müsse: ›Mr. Hobbs von seinem
ältesten Freunde, Lord Fauntleroy. Die Uhr, sie spricht:
Vergiß–mich–nicht!‹ Ich will
nicht, daß Sie mich vergessen.«
Mr. Hobbs machte abermals energischen Gebrauch von seinem
Taschentuche.
»Ich werde dich auch nicht vergessen,« sagte
er und seine Stimme klang ebenso merkwürdig heiser wie die von
Dick, »vergiß nur du mich nicht, wenn du unter die
englischen Aristokraten kommst.«
»Sie werde ich nicht vergessen, unter was
für Menschen ich auch komme,« versicherte der kleine
Lord. »Bei Ihnen bin ich immer am glücklichsten
gewesen, fast am glücklichsten, und ich hoffe, Sie besuchen
mich einmal. Mein Großpapa würde sich ganz
gewiß furchtbar freuen; vielleicht schreibt er Ihnen selbst
und ladet Sie ein, wenn ich ihm alles erzähle. Und –
und nicht wahr, Sie würden dann nicht daran denken,
daß er ein Graf ist? Ich meine, Sie würden deshalb
doch kommen, wenn er Ihnen schreibt?«
»Ich würde dir zuliebe kommen,«
erklärte Mr. Hobbs huldvoll, und damit war zugestanden,
daß er im Falle einer dringenden Einladung von seiten des
Grafen seine republikanischen Vorurteile überwinden, sein
Bündel schnüren und ein paar Monate auf
Schloß Dorincourt zubringen würde.
Endlich waren alle Vorbereitungen abgethan. Der Tag erschien,
an dem die Koffer an Bord geschafft wurden, und die Stunde, da der
Wagen vor der Hausthür hielt. Ein seltsames Gefühl
von Einsamkeit und Verlassenheit überkam dann den kleinen
Jungen. Die Mutter hatte sich ein paar Stunden in ihrem Zimmer
eingeschlossen gehabt, und als sie nachher die Treppe herabkam, waren
ihre Augen naß und ihr lieblicher Mund bebte seltsam. Cedrik
eilte ihr entgegen, sie beugte sich zu ihm nieder, und er schlang seine
Aermchen um ihren Hals und küßte sie. Was es war,
wußte er nicht recht, aber er fühlte, daß
sie beide traurig waren, und unwillkürlich kam's ihm auf die
Lippen: »Gelt, Herzlieb, wir haben unser kleines Haus lieb
gehabt? Und wir werden's immer lieb behalten?«
»Ja, ja,« versetzte sie mit leiser Stimme.
»Ja, mein Herzenskind.«
Und dann stiegen sie in den Wagen und Ceddie setzte sich ganz
nahe zu seiner Mama, sah sie unverwandt an, hielt ihre Hand fest und
streichelte sie ganz leise, indes sie nach dem verödeten Hause
zurückblickte.
Unglaublich kurze Zeit darauf befanden sie sich auf dem
Dampfer, mitten im wildesten Lärm und Getriebe. Wagen fuhren
an und setzten Passagiere ab, Reisende gerieten in Verzweiflung
über ihr Gepäck, das noch nicht da war und
möglicherweise zu spät kam, Reisekoffer und Kisten
wurden hin und her gezerrt und geschleppt, Matrosen rollten Taue auf
und eilten ab und zu, Befehle wurden erteilt, Damen und Herren, Kinder
und Kinderfrauen kamen an Bord, die einen lachend und
fröhlich, die andern still und gedrückt, einzelne mit
Thränen in den Augen. Ueberall entdeckte Cedrik etwas
Interessantes; die Berge von Tauen, die aufgerollten Segel, die in den
blauen Himmel hineinragenden Masten, alles fesselte seine
Aufmerksamkeit, und er nahm sich fest vor, mit den Matrosen
Freundschaft zu schließen und womöglich
Näheres über Seeräuber zu erfahren.
Gerade im allerletzten Augenblicke – Cedrik stand am
Geländer des oberen Deckes, beobachtete die Zeichen zur
Abfahrt und erfreute sich an den Zurufen der Matrosen und der Leute auf
dem Damme – bemerkte er in
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