Der kleine Lord
einer wenige Schritte von ihm
entfernten Gruppe einen kleinen Kampf. Jemand drängte sich mit
Gewalt durch und zwar in seiner Richtung, es war ein Junge, der etwas
Rotes in der Hand hielt – Dick! Ganz atemlos gelangte er
endlich in Cedriks Nähe.
»Bin ich gelaufen,« keuchte er,
»wollte dich doch abfahren sehen. Geschäft ist prima.
Von dem, was ich gestern gemacht, hab' ich das für dich
gekauft, kannst's brauchen, wenn du unter die feinen Leute kommst. Das
Papier habe ich verloren im Gedränge, die Kerls wollten mich
nicht 'rauf lassen, 's ist ein Taschentuch.«
In einem Atemzuge stieß er den Satz heraus, und ehe
Cedrik Zeit hatte, etwas zu erwidern, erklang das letzte Zeichen, und
mit einem gewaltigen Satze flog Dick davon.
»Leb wohl!« rief er noch. »Trag's,
wenn du zu den Vornehmen kommst!« und damit war er
verschwunden.
Ein paar Sekunden darauf sah man ihn sich auf dem unteren
Decke durch die Leute drängen und in dem Augenblicke, ehe die
Planke weggezogen ward, sprang er ans Ufer und schwenkte seine
Mütze.
Cedrik hielt sein hochrotes, seidenes Tuch, das mit ungeheuern
dunkelblauen Hufeisen und Pferdeköpfen geschmückt
war, in der Hand. Allgemeines Durcheinanderrennen und großer
Tumult entstand. Vom Dampfer hinüber und herüber von
den am Ufer Stehenden klangen die Rufe: »Leb wohl, altes Haus!
Leb wohl! Leb wohl! Vergiß uns nicht. Nicht wahr, du schreibst
von Liverpool? Gute Fahrt! Leb wohl!«
Der kleine Lord Fauntleroy beugte sich weit hinaus und
ließ sein rotes Tuch flattern.
»Leb wohl, Dick!« rief er, so laut er
konnte. »Ich danke dir! Leb wohl, Dick.«
Und das mächtige Schiff setzte sich langsam in
Bewegung, die Leute riefen Hurra, Cedriks Mutter zog den Schleier vors
Gesicht, auf dem Damme herrschte große Bewegung, Dick aber sah
von alledem nichts, als das liebliche Kindergesicht mit seinem blonden
Heiligenschein, auf den die Sonne fiel, und hörte nichts, als
die herzliebe, frische Stimme, die immer wieder: »Leb wohl,
Dick!« rief. So segelte der kleine Lord Fauntleroy von seinem
Heimatlande weg in die ihm fremde Welt seiner Ahnen.
Viertes Kapitel
In England
Unterwegs teilte die Mutter ihrem Lieblinge mit, daß
sie in Zukunft nicht mehr zusammenleben würden. Es kostete
Mühe, bis er sich von einer solchen Möglichkeit
überzeugen ließ, und sein Jammer darüber war
so grenzenlos, daß Mr. Havisham im stillen nur den
glücklichen Gedanken des Grafen, die Mutter in der
Nähe wohnen zu lassen, pries, denn ohne diesen Trost
hätte das Kind die Trennung schwerlich ertragen. Die Mutter
that alles, um ihm die Vorstellung freundlicher zu machen, und
tröstete ihn so herzlich und erzählte ihm immer
wieder, wie nah sie ihm sein werde, daß ihm der Gedanke
allmählich weniger schrecklich erschien.
»Mein Haus ist gar nicht weit vom Schlosse,
Ceddie,« sagte sie, so oft die Rede darauf kam, »ganz
nahe sogar, und du kannst immer herüberlaufen und nach mir
sehen. Und denke dir nur, wieviel du mir dann zu erzählen
haben wirst, und wie glücklich wir miteinander sein werden.
Ach, es muß ja so schön dort sein! Wie oft hat mir
dein Papa alles beschrieben. Ihm war das Schloß ganz ans Herz
gewachsen, und du wirst es auch bald lieb gewinnen.«
»Wenn du auch dort wärst, dann
wohl,« versetzte der betrübte kleine Lord mit einem
tiefen Seufzer.
Es war ja ganz natürlich, daß ihm eine
Einrichtung, die ihn von »Herzlieb« trennte, als
etwas sehr Widersinniges und Unbegreifliches erschien. Mrs. Errol hielt
es zudem für richtig, ihn über die Gründe
dieser Trennung nicht aufzuklären.
»Verstehen könnte er es doch
nicht,« sagte sie zu Mr. Havisham, »es würde
ihn also nur alterieren und beängstigen, und ich bin
überzeugt, daß er sich weit eher an seinen
Großvater anschließt, wenn er nicht weiß,
daß dieser einen Widerwillen gegen mich hat. Haß und
Bitterkeit sind ihm ganz fremd, und ich glaube, der Gedanke,
daß jemand mich haßt, würde ihn
unglücklich machen! Sein Herz ist voll Liebe! Es ist viel
besser, wenn er das alles erst später erfährt
– viel besser im Interesse des Grafen namentlich, denn dies
Bewußtsein würde eine Scheidewand zwischen ihm und
dem Großvater bilden, wenn Ceddie auch noch ein Kind
ist.«
Cedrik erfuhr also nur, daß diese Trennung aus
Gründen, die er noch nicht verstehen könne,
beschlossen sei, und daß er später einmal alles
erfahren und begreifen werde. Das machte
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