Der kleine Lord
Die würdevolle weiße Katze
fand es offenbar recht angenehm, sich von Lord Fauntleroy streicheln zu
lassen, und hatte sich ihm sofort angeschlossen, und als er sich nun
auf das prächtige Fell legte, rollte sie sich
majestätisch an seiner Seite auf, wodurch die Freundschaft
besiegelt war. Cedrik schmiegte sein Köpfchen neben ihr in das
weiche Fell und nahm keine Notiz von dem Gespräch zwischen
seiner Mutter und Mr. Havisham, zumal beide halblaut sprachen. Mrs.
Errol war sehr blaß und sichtlich bewegt.
»Heute nacht muß er doch nicht schon
gehen?« fragte sie, »Heute nacht darf er doch noch
bei mir bleiben?«
»Gewiß,« erwiderte Mr. Havisham,
»es ist keineswegs nötig, daß er heute nacht
geht. Ich werde mich nach Tische aufs Schloß begeben und Seine
Herrlichkeit von unsrer Ankunft in Kenntnis setzen.«
Mrs. Errol warf einen Blick auf Cedrik, der mit
unbewußter Anmut auf dem bunten Fell hingestreckt lag,
während das Feuer im Kamin wechselnde Lichter auf sein golden
schimmerndes Haar warf.
»Der Graf weiß nicht, was er mir
nimmt,« sagte sie mit schmerzlichem Lächeln und
setzte dann, zu dem Advokaten aufblickend, hinzu: »Wollen Sie
die Güte haben, ihm zu sagen, daß ich sein Geld nicht
will?«
»Sein Geld? Sie sprechen doch nicht von dem
Jahreseinkommen, das er für Sie ausgesetzt hat?«
»Doch,« antwortete sie einfach, aber
bestimmt. »Ich möchte dasselbe lieber nicht haben.
Die Wohnung hier muß ich annehmen und bin dankbar
dafür, denn ich könnte ja sonst nicht in der
Nähe meines Kindes bleiben; aber ich habe ein kleines
Vermögen, das hinreicht, um bescheiden davon leben zu
können, und mehr brauche ich nicht. Bei der Natur unsrer
Beziehungen könnte ich keine Wohlthaten von ihm annehmen, ohne
das Gefühl zu haben, ihm Cedrik zu verkaufen, und ich lasse
ihn doch nur von mir, weil ich nicht an mich denke, sondern an sein
Bestes, und weil sein Vater es wünschen
würde.«
»Seltsam, sehr seltsam,« sagte Mr. Havisham,
sein Kinn reibend. »Der Graf wird sich ärgern, wird
es ganz und gar nicht verstehen.«
»Ich glaube doch, wenn er sich's überlegt.
Nötig habe ich das Geld nicht, und Luxus annehmen von seiten
eines Mannes, der mich so sehr haßt, daß er mir
meinen Sohn nimmt, könnte ich nicht.«
Kurz darauf wurde die Mahlzeit aufgetragen, an der alle drei
teilnahmen und bei der sich auch die Katze einfand, die unter
vergnüglichem Schnurren den Stuhl neben Ceddie für
sich in Anspruch nahm.
Im Verlaufe des Abends begab sich Mr. Havisham noch nach dem
Schlosse, wo er sofort von dem Hausherrn empfangen wurde. Er fand ihn
in einem bequemen Fauteuil am Kamin, das gichtkranke Bein auf einer
Fußbank. Ein scharfer, fragender Blick flog unter den
buschigen Augenbrauen hervor, und Mr. Havisham erkannte wohl,
daß er trotz aller zur Schau getragenen
Gleichgültigkeit in großer Unruhe und gespannter
Erwartung war.
»Da sind Sie ja, Havisham! Gut angekommen? Was gibt's
Neues?«
»Lord Fauntleroy und seine Mutter sind in Court Lodge
angelangt. Beiden ist die Reise gut bekommen und ihr Befinden ist
vortrefflich.«
»Freut mich, zu hören,« sagte der
Graf mit einer etwas ungeduldigen Handbewegung. »Machen Sie
sich's bequem und nehmen Sie ein Glas Wein. Was sonst?«
»Der junge Lord bleibt heute nacht bei seiner Mutter.
Morgen werde ich ihn ins Schloß bringen.«
Der Arm des Grafen hatte auf der Stuhllehne geruht, nun hielt
er sich plötzlich die Hand vor die Augen.
»Nun so reden Sie doch weiter. Briefliche
Mitteilungen hatte ich mir ja verbeten, und so weiß ich noch
von gar nichts. Was für eine Sorte ist der Bursche? Von der
Mutter will ich nichts hören, nur von dem Jungen.«
Mr. Havisham kostete den alten Portwein, den er sich
eingegossen hatte, und hielt das Glas in der Hand.
»Es ist schwierig, über den Charakter eines
Kindes von sieben Jahren ein Urteil abzugeben,« begann er
vorsichtig.
»Er ist also ein Schafskopf?« rief der alte
Herr rasch aufblickend. »Oder ein schwerfälliger
Tölpel? Das amerikanische Blut schlägt vor,
hm?«
»Ich glaube kaum, daß ihm dasselbe zum
Nachteil gereichte, Mylord,« erwiderte der Advokat in seiner
trockenen, kühlen Weise. »Ich verstehe mich nicht
besonders auf Kinder, aber ich halte ihn für einen
hübschen Jungen.«
Vorsichtig und zurückhaltend in seinen
Aeußerungen zu sein, war Havishams Art, und er kehrte sie
heute mehr als je hervor, denn er wollte, daß der
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