Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der kleine Lord

Titel: Der kleine Lord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances Hodgson Burnett
Vom Netzwerk:
Graf selbst
urteilen und seinen Enkel kennen lernen sollte, ohne irgendwie
beeinflußt zu sein.
    »Gesund? Gut gewachsen?«
    »Offenbar ganz gesund und gut gewachsen.«
    »Gerade Glieder – menschliche
Physiognomie?«
    Ein leises Lächeln flog um Mr. Havishams
dünne Lippen, als er an den rosigen Blondkopf dachte, wie er
ihn zuletzt auf dem Tigerfell hatte liegen sehen.
    »Ein ziemlich hübsches Kind, soweit man das
von einem Jungen sagen kann, und soweit ich mich drauf verstehe. Aber
Sie werden ihn einigermaßen verschieden von den englischen
Kindern finden.«
    »Zweifle nicht daran.« brummte der Graf mit
einem Zucken in dem kranken Beine. »Freches, vorlautes Chor,
diese amerikanischen Kinder! Habe oft genug davon
gehört.«
    Mr. Havisham trank seinen Portwein und eine kleine Pause
folgte.
    »Ich habe einen Auftrag von Mrs. Errol zu
bestellen,« bemerkte er ruhig.
    »Verschonen Sie mich damit! Je weniger ich von der
Person höre, desto besser!«
    »Die Sache muß doch erörtert
werden. Sie zieht es vor, die ihr von Ihnen ausgesetzte Jahresrente
nicht anzunehmen.«
    »Was soll das heißen?« rief der
Graf auffahrend. »Was soll das heißen?«
    Mr. Havisham wiederholte seine Mitteilung und setzte hinzu:
»Sie sagt, sie bedürfe der Summe nicht, und da die
Beziehungen zwischen ihr und Ihnen nicht freundlicher Art seien
–«
    »Nicht freundlicher Art! Das will ich meinen! Der
bloße Gedanke an sie ist mir zuwider. Eine geldgierige
Amerikanerin mit schriller Stimme! Ich will sie nicht sehen!«
    »Mylord, geldgierig können Sie die Dame doch
kaum nennen. Sie hat nicht nur nichts verlangt, sondern das ihr
Angebotene abgelehnt.«
    »Bloßer Kunstgriff,« grollte der
edle Lord. »Damit will sie mich dran kriegen, daß ich
sie sehen soll und womöglich ihren Geist bewundern, wovor ich
mich wohl hüten werde. Amerikanischer Trotz! Ich will nicht,
daß sie als Bettlerin vor meinem Thore wohnt. Sie ist die
Mutter des Jungen und hat als solche eine Stellung zu wahren und soll
sie wahren. Sie wird das Geld bekommen, ob sie will oder nicht! Damit
will sie nur ihrem Jungen eine schlechte Meinung von mir beibringen!
Wird ihn ohnehin schon genügend gegen mich eingenommen
haben.«
    »Nein,« sagte Mr. Havisham. »Ich
habe Ihnen in dieser Hinsicht noch etwas von Mrs. Errol zu
bestellen.«
    »Was ich nicht hören will!«
stieß Seine Herrlichkeit, keuchend vor Aerger und
Gichtschmerzen, hervor.
    Mr. Havisham aber fuhr ungerührt fort: »Sie
läßt Sie bitten, in Lord Fauntleroys Gegenwart nichts
zu äußern, was ihm klar machen könnte,
daß Sie ihr nicht wohlwollen. Der Knabe hängt sehr an
ihr, und sie ist überzeugt, daß ihn dies Ihnen
entfremden würde. Sie hat ihm einfach gesagt, daß er
noch zu jung sei, um die Gründe der Trennung von ihr zu
verstehen, und zwar, weil sie wünscht, daß auch kein
Hauch des Mißtrauens gegen Sie in des Knaben Herz
aufkomme.«
    Der Graf war in seinen Stuhl zurückgesunken; seine
tiefliegenden, feurigen Augen funkelten hinter den starken Augenbrauen.
    »Seien Sie vernünftig, Havisham,«
sprach er mühsam, »Sie werden mir nicht weismachen
wollen, daß die Mutter ihm nichts gesagt hat.«
    »Nicht eine Silbe, Mylord,« versetzte der
Advokat ruhig. »Der Knabe sieht in Ihnen nichts als den
zärtlichen Großpapa. Nichts – absolut
nichts ist je geäußert worden, was ihm auch nur den
leisesten Zweifel an Ihrer Vollkommenheit erwecken könnte, und
da ich Ihre Befehle in Bezug auf seine etwaigen Wünsche genau
ausgeführt habe, sieht er in Ihnen den Inbegriff aller
Großmut und Güte.«
    »Wahrhaftig? Allen Ernstes?«
    »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß es
einzig in Ihrer Hand liegt, wie Sie das Verhältnis zu Lord
Fauntleroy gestalten wollen, und wenn ich mich unterfangen
dürfte, Eurer Herrlichkeit einen Rat zu geben, so
wäre es der, nie verletzend von seiner Mutter zu
sprechen.«
    »Pah, pah! Ein Junge von sieben Jahren!«
»Der diese sieben Jahre an der Seite einer Mutter verlebt hat,
der sein ganzes Herz gehört.«

Fünftes Kapitel
Im Schlosse
    Es war spät am Nachmittag, als der Wagen, der den
kleinen Lord Fauntleroy und Mr. Havisham zum Schlosse brachte, die
lange Avenue daherrollte. Der Graf hatte angeordnet, daß sein
Enkel kurz vor Tische im Schlosse eintreffen und ferner, daß
er, aus nur ihm bekannten Gründen, allein in das Zimmer
geführt werden sollte, wo er ihn zu empfangen gedachte. Cedrik
lehnte sich

Weitere Kostenlose Bücher