Der kleine Lord
herunterbaumelten, und er konnte unmöglich all
diese Pracht und Feierlichkeit auf sein kleines Ich beziehen. An der
Spitze der Dienerschaft stand eine ältliche Frau in glattem,
schwerem schwarzen Seidenkleide, mit einer Haube auf dem grauen Haare.
Als er die Halle betrat, stand sie ihm zunächst und Cedrik sah
ihr an, daß sie mit ihm sprechen wolle. Mr. Havisham, der ihn
an der Hand führte, stand einen Augenblick still.
»Hier bringe ich Lord Fauntleroy, Mrs.
Mellon,« sagte er. »Lord Fauntleroy, dies ist Mrs.
Mellon, die Haushälterin.«
Cedrik gab ihr mit einem freudigen Aufleuchten die Hand.
»Haben Sie uns die Katze geschickt?« fragte
er. »Ich danke Ihnen tausendmal dafür!«
Das hübsche Gesicht der alten Frau glänzte
gerade so freudig wie das der Portiersfrau.
»Ich würde Seine Herrlichkeit an jedem Orte
erkannt haben,« sagte sie zu Mr. Havisham, »er ist ja
ganz und gar sein Vater. Das ist ein großer Tag heute,
Sir.«
Cedrik sah sie neugierig an und hätte für
sein Leben gern gewußt, weshalb gerade heute ein
großer Tag sei. Noch befremdlicher war ihm, daß sie
Thränen in den Augen hatte und doch offenbar nicht traurig
war, denn sie lächelte ihn freundlich an.
»Die Katze hat zwei wunderhübsche Junge hier
gelassen,« sagte sie, »man wird sie sofort auf Eurer
Herrlichkeit Zimmer bringen.«
Mr. Havisham richtete halblaut eine Frage an sie.
»In der Bibliothek, Sir,« erwiderte Mrs.
Mellon. »Der Lord Fauntleroy soll allein vorgelassen
werden.«
Ein paar Minuten darauf öffnete der stattliche
Livreebediente, der Cedrik zu der Bibliothek geführt hatte,
die Thür derselben und meldete: »Lord Fauntleroy,
Mylord.« Er that es mit besondrer Feierlichkeit, denn auch er
fühlte, daß es ein großer Moment war, wo der
Erbe sein Eigentum betrat und dem Familienhaupte vorgestellt wurde,
dessen Rang und Besitz dereinst sein eigen werden sollte.
Cedrik schritt über die Schwelle. Es war ein
großer, prächtiger Raum mit schweren, geschnitzten,
eichnen Möbeln, die Wände bis hoch hinauf mit
Büchergestellen bedeckt. Die Möbel waren so dunkel,
die Vorhänge so schwer, die Fensternischen so tief und die
Entfernung zwischen Thür und Fenster so groß,
daß nun, nach Sonnenuntergang, der ganze Eindruck des Raumes
ein düsterer war. Im ersten Augenblicke glaubte Cedrik,
daß überhaupt niemand im Zimmer sei, entdeckte aber
gleich darauf vor dem Feuer, das trotz des warmen Abends in dem
riesigen Kamin brannte, in einem bequemen, Lehnstuhl eine Gestalt, die
sich aber nicht nach ihm umwendete.
Bei einem andern Bewohner des Zimmers hatte er jedoch
Aufmerksamkeit erregt. Neben dem Lehnstuhle lag an der Erde ein Hund,
eine ungeheure braungelbe Dogge, fast so groß und gewaltig wie
ein Löwe – majestätisch und langsam erhob
sich das mächtige Tier und ging mit schwerem, wuchtigem
Schritt auf die schlanke Kindesgestalt zu.
»Dougal,« erklang nun eine Stimme aus dem
Lehnstuhle, »hierher.«
Allein dem Herzen des jungen Lord war Furcht so fremd wie
alles Böse, und er war von jeher ein tapferer kleiner Geselle
gewesen. Vertraulich und ruhig legte er sein Händchen an des
Ungeheuers Halsband und dann schritten sie einträchtig
miteinander auf den Grafen zu.
Endlich blickte dieser auf und Cedrik sah in das Gesicht eines
großen alten Mannes mit wirrem, weißem Haar,
buschigen Augenbrauen und einer kühnen Adlernase zwischen den
feurigen, blitzenden Augen. Der Graf aber erblickte eine anmutige
Kindergestalt in einem schwarzen Samtanzug mit breitem Spitzenkragen
und weichen blonden Locken, die das frische, rosige Gesicht umrahmten,
aus dem ein Paar großer brauner Augen ihm treuherzig
entgegenleuchtete. Wie ein plötzlicher Jubelruf und ein
frohlockendes Triumphieren zog's dem harten alten Manne durchs Herz,
als er wahrnahm, was für ein kräftiger,
schöner Knabe sein Enkel war, und wie unerschrocken er ihm ins
Gesicht sah, die Hand noch immer auf dem Halse seines riesigen Hundes.
Es that dem herrischen alten Edelmanne im Innersten wohl, daß
der Junge keine Schüchternheit und keine Furcht verriet, weder
vor ihm noch vor seinem Hunde.
»Bist du der Graf?« sagte Cedrik mit seinem
freundlichen Lächeln. »Ich bin dein Enkel, den Mr.
Havisham geholt hat – Lord Fauntleroy.«
Er streckte ihm dabei sein Händchen hin, was er
für angemessen und höflich hielt auch bei Grafen.
»Ich hoffe, es geht dir gut,« fuhr er herzlich fort,
»und
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