Der kleine Lord
dem häßlichen Bilde
zuzuwenden.
»Wohl und gut,« entschied der Graf,
»du sollst's versuchen.«
Cedrik reichte ihm seinen Stock und half ihm beim Aufstehen.
Dies war in der Regel des Bedienten Amt, der dabei manch' derben Fluch
zu hören kriegte und oft und viel innerlich vor
Empörung knirschte. Heute ging die Sache ohne Fluchen ab,
obwohl die Gicht manch bösen Reißer that, allein der
Graf wollte nun einmal den Versuch machen. Langsam erhob er sich und
legte die Hand auf die schmale Schulter, die ihm so mutig als
Stütze geboten wurde. Vorsichtig that Lord Fauntleroy einen
Schritt vorwärts und sah dabei sorgfältig auf das
kranke Bein.
»Stütze dich nur recht fest auf
mich,« sagte er ermutigend. »Ich will ganz langsam
gehen.«
Wenn der Graf seinen Diener zum Führer gehabt
hätte, würde er sich allerdings weniger auf seinen
Stock und mehr auf jenen gestützt haben, und doch hielt er es
bei seinem Experiment auch für nötig, den Enkel sein
Gewicht fühlen zu lassen, das in der That nicht leicht war.
Nach wenig Schritten war denn auch das kleine Gesicht dunkelrot und
sein Herz fing an, heftig zu klopfen, allein er stemmte sich
mächtig gegen des Großvaters Hand und erinnerte sich
Dicks Ausspruch über seine Muskeln.
»Hab nur keine Angst und stütze dich fest
auf,« keuchte er, »ich kann es ganz gut, wenn
– wenn es nicht zu weit ist.«
Es war eigentlich kein langer Weg zum Speisezimmer, und doch
kam es Cedrik wie eine Ewigkeit vor, bis sie den Stuhl am oberen Ende
der Tafel erreicht hatten. Die Hand auf seiner Schulter schien mit
jedem Schritte wuchtiger zu lasten, sein Köpfchen ward immer
heißer und sein Atem kürzer, allein er dachte nicht
daran, seinen Dienst aufzugeben; er machte seine Muskeln ganz steif,
hielt sich kerzengerade und sprach dem bedenklich hinkenden alten Herrn
Trost zu.
»Thut dir der Fuß so sehr weh, wenn du
darauf stehst?« fragte er. »Hast du ihn nie in
heißes Wasser mit Senfmehl gesteckt? Das hat Mr. Hobbs gut
gethan.«
Der große Hund schritt gravitätisch nebenher
und der Diener folgte. Mehr als einmal flog ein eigentümliches
Lächeln über sein Gesicht, wenn er beobachtete, wie
die kleine Gestalt all ihre Kraft zusammennahm und ihre Last so
gutwillig trug, und auch des Grafen Blick streifte ein paarmal mit
seltsamem Ausdrucke das erhitzte Kindergesicht.
Als sie das Speisezimmer betraten, bemerkte Cedrik,
daß auch dies ein sehr großer, imposanter Raum war,
und daß der Diener, welcher hinter des Grafen Stuhl stand, die
Eintretenden höchst erstaunt anstarrte. Endlich war der Stuhl
erreicht; die Hand löste sich von seiner Schulter und der Graf
ward bequem installiert.
Cedrik zog Dicks Taschentuch hervor und trocknete sich die
Stirn.
»Es ist heiß heute abend, nicht?«
fragte er. »Wahrscheinlich mußt du ein Feuer haben
wegen – wegen deinem Fuß, nur mir kommt's ein wenig
heiß vor.«
Sein angeborener Takt bewahrte ihn davor, irgend etwas auch
nur scheinbar zu tadeln.
»Du hast soeben ein hartes Stück Arbeit
gehabt,« bemerkte der Graf.
»O nein! Das war gar nicht hart, nur heiß
ist mir's geworden,« und damit behandelte er seine feuchten
Locken energisch mit dem Taschentuche.
Lord Fauntleroys Platz am Tische war seinem Großvater
gegenüber, ein breiter Armstuhl nahm auch hier die schmale
Gestalt auf. Alles, was er bis jetzt gesehen hatte, die hohen weiten
Räume, die kolossalen Möbel, die stattlichen
hochgewachsenen Diener, der ungeheure Hund und der Großvater
selbst, alles war dazu angethan, ihm die eigne Kleinheit vor Augen zu
bringen. Dies beunruhigte Cedrik jedoch keineswegs; für sehr
groß oder sehr wichtig hatte er sich nie gehalten, und er war
mit Freuden bereit, sich auch Verhältnissen anzupassen, die
etwas Ueberwältigendes für ihn zu haben schienen.
Freilich hatte er kaum je so winzig ausgesehen, als in dem weiten
Lehnstuhle an der feierlichen Tafel.
Trotzdem er so einsam lebte, hielt der Graf seinen Haushalt
auf großem Fuße, und das Diner war ein wichtiges
Moment in seinem Leben und natürlich auch in dem des Koches,
für den die Tage, an welchen Seine Herrlichkeit keinen Appetit
hatte, schwere Prüfungen brachten. Heute jedoch schien der
Appetit besser als sonst, und die Kritik über die
»Entrees« und die Bereitung der Saucen war nicht so
gründlich, weil er häufig über den Tisch
hinüber nach seinem Enkel blicken mußte. Er selbst
sprach wenig, erhielt
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